Strophe 3 und Gesamtdeutung: Die unerreichbare Ferne
In der dritten Strophe von Eichendorffs "Sehnsucht" erreicht die Sehnsucht des lyrischen Ichs ihren Höhepunkt. Die Beschreibung der Reise der jungen Gesellen wird fortgesetzt und intensiviert die Gefühle des Zurückgebliebenen.
Die Gesellen singen von "schwindelnden Schlössern" und "Marmorbildern", was typische Motive der romantischen Epoche sind. Diese Bilder repräsentieren eine idealisierte, fast märchenhafte Welt, die für das lyrische Ich unerreichbar bleibt.
Quote: "Von schwindelnden Schlössern, / Von Marmorbildern, Gärten, die überm Gestein / In dämmernden Lüften verwildern"
Diese Zeilen verdeutlichen die Sehnsucht nach einer idealisierten, romantischen Welt, die im Kontrast zur prosaischen Realität des Alltags steht.
Vocabulary: Dämmernde Lüfte - Eine poetische Umschreibung für die Atmosphäre der Dämmerung, die in der Romantik oft als Zeit des Übergangs und der geheimnisvollen Stimmungen dargestellt wird.
Eichendorff nutzt hier die Stilmittel der Romantik meisterhaft, um die Gefühlswelt des lyrischen Ichs zu spiegeln. Die verwilderten Gärten symbolisieren möglicherweise die ungezähmten Sehnsüchte und Träume des Protagonisten.
Highlight: Die Kombination von konkreten Bildern (Schlösser, Marmorbilder) mit abstrakten Vorstellungen (dämmernde Lüfte, Verwilderung) ist charakteristisch für Eichendorffs poetischen Stil.
In der Gesamtdeutung des Gedichts "Sehnsucht" zeigt sich Eichendorffs Meisterschaft in der Darstellung romantischer Themen:
- Die tiefe Sehnsucht nach Freiheit und Ferne als zentrales Motiv
- Der Kontrast zwischen einengender Realität und erträumter Freiheit
- Die Natur als Spiegel der menschlichen Gefühlswelt
- Die Unerreichbarkeit des Ersehnten als tragisches Element
Definition: Deutungshypothese - Eine begründete Annahme über die mögliche Bedeutung und Interpretation eines literarischen Werkes.
Eine mögliche Deutungshypothese für Eichendorffs "Sehnsucht" könnte lauten: Das Gedicht thematisiert die unerfüllbare Sehnsucht des Menschen nach einer idealisierten Welt und reflektiert damit die Zerrissenheit des romantischen Individuums zwischen gesellschaftlichen Zwängen und dem Wunsch nach grenzenloser Freiheit.
Die formale Gestaltung des Gedichts unterstützt diese Interpretation:
- Das Reimschema ABAB CDCD spiegelt die Regelmäßigkeit und Ordnung wider, aus der das lyrische Ich ausbrechen möchte.
- Das unregelmäßige Metrum könnte die innere Unruhe und den Wunsch nach Veränderung symbolisieren.
- Die Wiederholung von Strukturen in allen drei Strophen verdeutlicht die Gefangenheit in der bestehenden Situation.
Eichendorffs "Sehnsucht" ist somit ein Paradebeispiel für die romantische Lyrik, die existenzielle Fragen und tiefe menschliche Gefühle in poetischer Form ausdrückt und dabei die Sehnsucht als treibende Kraft des menschlichen Daseins in den Mittelpunkt stellt.