Peter Weiss' "Die Ermittlung": Ein Meilenstein des dokumentarischen Theaters
Peter Weiss' "Die Ermittlung" ist ein bahnbrechendes Werk des dokumentarischen Theaters, das 1965 erstmals auf die Bühne gebracht wurde. Das Stück, mit dem vollständigen Titel "Die Ermittlung: Oratorium in 11 Gesängen", behandelt den ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess und markierte den Durchbruch des dokumentarischen Theaters in den 1960er Jahren. Es setzte sich mutig mit dem damals in der Öffentlichkeit oft gemiedenen Thema des Nationalsozialismus auseinander.
Die Struktur des Stücks spiegelt den Gerichtsprozess wider, mit einem Richter, 18 Angeklagten und neun Zeugen. Weiss trifft hier eine bedeutsame künstlerische Entscheidung: Während die Angeklagten in ihren Aussagen und Namen klar identifizierbar sind, fasst er die Erfahrungen von hunderten Zeugen in neun anonymisierten Figuren zusammen, die lediglich mit Zahlen von 1 bis 9 bezeichnet werden. Diese Gegenüberstellung von identifizierbaren Tätern und anonymisierten Opfern verstärkt die Wirkung des Stücks erheblich.
Highlight: Die Anonymisierung der Zeugen bei gleichzeitiger Identifizierbarkeit der Angeklagten ist ein kraftvolles dramaturgisches Mittel, das die Universalität des Leids der Opfer unterstreicht.
In 33 Sequenzen dokumentiert Weiss mit äußerster Präzision den Leidensweg der jüdischen Opfer von ihrer Ankunft in Auschwitz bis zu ihrem Tod in der Gaskammer. Die Beschreibungen der Schauplätze wie das Lager, der Bunkerblock und die Feueröfen sind von erschütternder Genauigkeit. Weiss scheut sich nicht, die Grausamkeiten, die an den Massen verübt wurden, detailliert darzustellen.
Beispiel: Ein besonders erschütterndes Beispiel ist die Beschreibung der "schwarzen Wand", an der Menschen durch Genickschuss hingerichtet wurden. Zeugen berichten, dass manchmal mehrfach geschossen werden musste, bis das Opfer starb. Sogar von der Erschießung eines sechsjährigen Mädchens wird berichtet.
Das Stück geht auch auf die ökonomischen Aspekte des Massenmordes ein. So wird geschildert, wie die Nazis von Erschießungen zu Hinrichtungen durch Giftinjektionen übergingen, weil dies kostengünstiger war. Neben diesen systematischen Grausamkeiten werden auch beklemmende Einzelschicksale dargestellt, wie das eines jungen Mädchens, das beim Versuch, einem Häftling einen Brief zuzustecken, ertappt und unter unmenschlichen Bedingungen hingerichtet wurde.
Definition: Dokumentarisches Theater: Eine Theaterform, die auf authentischen Dokumenten und Zeugenaussagen basiert, um historische Ereignisse möglichst wahrheitsgetreu darzustellen und das Publikum zur kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit anzuregen.
"Die Ermittlung" von Peter Weiss zwingt das Publikum, sich mit einem der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen. Durch die Verwendung von Zeugenaussagen, Anklagen und Verteidigungen erhält der Zuschauer einen tiefen Einblick in das Leben und die Situation sowohl der Häftlinge als auch der Angeklagten des Konzentrationslagers. Das offene Ende des Stücks unterstreicht die Intention des dokumentarischen Theaters, das Publikum zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Thema zu bewegen, auch wenn die Darstellung der grausamen Taten der Diktatur gegen die jüdische Minderheit bereits erschütternd deutlich ist.
Zitat: "In insgesamt 33 Sequenzen wird in äußerster Präzision der Leidensweg der Juden von ihrer Ankunft in Auschwitz bis zum Tod in der Gaskammer dokumentiert."
"Die Ermittlung" bleibt ein wichtiges Werk in der deutschen Theaterlandschaft und ein bedeutender Beitrag zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit. Es zeigt eindrucksvoll, wie Kunst und insbesondere das Theater zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit historischen Traumata beitragen können.