Spracherwerbstheorien - Einführung und Kognitivismus

Stell dir vor, wie ein Baby binnen weniger Jahre eine komplexe Sprache meistert - ohne Grammatikbuch oder Vokabelheft! Spracherwerb ist dieser unbewusste Prozess, durch den wir unsere Muttersprache im alltäglichen Kontakt erlernen.

Der Kognitivismus nach Jean Piaget (1896-1980) erklärt das so: Denken kommt vor dem Sprechen. Ein Kind kann erst sprechen, wenn es das entsprechende Denkvermögen entwickelt hat - keine angeborene Universalgrammatik nötig.

Piaget sieht den Menschen als "Allzweckgeist" ohne spezielles Sprachorgan. Stattdessen entwickelt das Kind durch aktive Beobachtung und Erkenntnis seine sprachlichen Fähigkeiten parallel zur geistigen Entwicklung.

💡 Merkregel: Kognitivismus = Erst denken, dann sprechen lernen!

Behaviorismus - Lernen durch Nachahmung

1957 erklärte Burrhus F. Skinner den Spracherwerb ganz anders: Kinder lernen Sprache wie Tricks - durch Nachahmung, Belohnung und Wiederholung. Das Kind hört ein Wort, ahmt es nach und wird bei korrekter Verwendung belohnt.

Diese positive Konditionierung verstärkt das Verhalten. Je öfter ein Wort verstärkt wird, desto fester sitzt es im Sprachgebrauch. Umweltreize lösen Lautäußerungen aus, die Umwelt formt die Kindersprache.

Aber hier hakt's: Das Modell erklärt nicht, wie Kinder völlig neue Sätze bilden können, die sie nie gehört haben. Sprache ist viel komplexer, als dass reine Imitation und Verstärkung ausreichen würden.

💡 Kritikpunkt: Wie entstehen kreative, neue Sprachkombinationen?

Interaktionismus - Sprache durch Beziehung

Jerome Bruner und andere Forscher entdeckten 1937: Spracherwerb funktioniert am besten durch soziale Interaktion zwischen Kind und Bezugspersonen. Die Erwachsenen passen sich automatisch an das Entwicklungsniveau des Kindes an.

Diese vereinfachte Sprache (semantisch und syntaktisch reduziert) hilft dem Kind, nach und nach aktive Kommunikationsrollen zu übernehmen. Gesten und Laute werden schrittweise durch sprachliche Äußerungen ersetzt.

Der symbolische Interaktionismus beschreibt, wie Kinder durch diese Prozesse ihre Identität entwickeln. Die Denkfähigkeit ist angeboren, aber die soziale Umgebung aktiviert sie.

💡 Schwäche: Erklärt die Bedingungen, aber nicht den eigentlichen Spracherwerb!

Nativismus - Das angeborene Sprachtalent

Noam Chomsky revolutionierte 1975/1980 die Sprachforschung: Menschen besitzen ein angeborenes Sprachorgan mit Universalgrammatik. Jedes Kind wird mit den gleichen sprachlichen Grundregeln geboren.

Das Geniale daran: Der Output ist größer als der Input. Aus begrenztem Wortschatz und wenigen Regeln bilden Kinder unendlich viele neue Sätze. Spracherwerb ist kein simples Regellernen - Kinder entwickeln ihre eigene Grammatik.

Steven Pinker spricht vom "Sprachinstinkt", der uns Menschen von Tieren unterscheidet. Dieser Instinkt braucht nur minimalen Input aus der Umgebung, um sich voll zu entfalten.

💡 Kernaussage: Sprache ist biologisch programmiert - wie ein Computerprogramm!

Sprachgeschichtlicher Wandel - Von damals bis heute

Sprachwandel passiert ständig, meist unbemerkt und fließend über lange Zeiträume. Die deutsche Sprache entwickelte sich vom Althochdeutschen (750-1050) über Mittelhochdeutsch bis zum heutigen Neuhochdeutsch (ab 1650).

Aktuell prägen Anglizismen, Jugendsprache mit neuer Grammatik, Kiezdeutsch und das Gendersternchen unsere Sprache. Dialekte sind gefährdet, während der Wunsch nach Diversität wächst.

Die große Frage: Ist das Wandel oder Verfall? Gesellschaftliche Veränderungen und Kontakt zu anderen Kulturen treiben diese Entwicklung voran. Sprache reguliert sich dabei selbst.

💡 Fakt: Sprachwandel ist völlig normal - keine Sprache bleibt unverändert!

Phänomene und Bewertung des Sprachwandels

Sprachwandel zeigt sich in fehlerhafter Grammatik, veränderten Wortendungen, neuer Rechtschreibung und regionalen Besonderheiten. Chatsprache, Abkürzungen und Anglizismen prägen besonders die Jugendkommunikation.

Die Vorteile: Deutsch wird zur lebendigen Mischsprache mit differenzierteren Ausdrucksmöglichkeiten und enormer Anpassungsfähigkeit. Sprachvielfalt bereichert unsere Kommunikation.

Die Nachteile: Standardsprache geht verloren, was zu Kommunikationsproblemen und Generationskonflikten führt. Manche Sprachgemeinschaften werden diskriminiert.

Besonders problematisch wird gezielter Sprachwandel - wie die Sprachmanipulation im Nationalsozialismus oder der DDR. Auch das "Gendern von oben" ist umstritten.

💡 Balance: Sprachwandel ist natürlich, Sprachlenkung oft problematisch!

Sprachvarietäten - Innere und äußere Mehrsprachigkeit

Innere Mehrsprachigkeit bedeutet, dass du innerhalb deiner Muttersprache zwischen verschiedenen Varietäten wechseln kannst - vom Dialekt zur Hochsprache. Das beeinflusst Sprachwandel erheblich.

Sprachvarietäten sind regionale, soziale oder kulturelle Ausprägungen einer Einzelsprache. Sie ergänzen und modifizieren die Standardsprache - Varietätenvielfalt treibt Sprachwandel voran.

Dialekte sind lokale Sprachformen, die sich auf allen Ebenen vom Standard unterscheiden. Sie erleichtern regionale Kommunikation, erschweren aber den überregionalen Austausch. Landmenschen sprechen häufiger Dialekt als Stadtbewohner.

💡 Unterscheidung: Innere = verschiedene Varietäten einer Sprache, äußere = verschiedene Sprachen!

Standard, Hochdeutsch und Soziolekte

Standarddeutsch kennst du aus Schule und Beruf - es folgt festen grammatikalischen Regeln und ermöglicht mündliche wie schriftliche Verständigung überall im deutschsprachigen Raum.

Die Vorteile der Mehrsprachigkeit: Sie fördert geistige Entwicklung, erleichtert das Erlernen von Fremdsprachen und stärkt Sprachgefühl, Kreativität sowie abstraktes Denken.

Soziolekte sind Sprachformen gesellschaftlich abgegrenzter Gruppen. Sie schaffen Gemeinschaftsgefühl und Identifikation, sind nicht örtlich begrenzt und werden durch äußere Einflüsse wie Medien geprägt.

Risiko: Wer sich nicht situationsangemessen ausdrücken kann, hat Nachteile. Dialekte werden oft abgewertet, obwohl sie den Wortschatz einer Sprache bereichern.

💡 Tipp: Flexibilität zwischen den Varietäten ist der Schlüssel zum Erfolg!

Gruppenzugehörigkeit und Kiezdeutsch

Soziolekte heben Gruppenzugehörigkeit hervor und fördern die Identitätsfindung. Du kommunizierst besser mit deiner jeweiligen Gruppe und stärkst die gemeinsame Identität.

Früher markierten Soziolekte klar die Unterschiede zwischen sozialen Schichten. Das kann sozialen Erfolg behindern - Menschen mit niedrigem Status werden oft ausgeschlossen.

Kiezdeutsch entsteht in Gebieten mit vielen Migranten und Jugendlichen. Es ist systematisch aufgebaut, kein "falsches Deutsch", sondern eine eigenständige Sprachvarietät mit klarer Grammatik.

Problematisch: Kiezdeutsch wird hauptsächlich in der Unterschicht gesprochen und kann dadurch stigmatisiert werden, obwohl es eine bereichernde, örtlich begrenzte Sprachvariante darstellt.

💡 Wichtig: Kiezdeutsch hat eigene Regeln - es ist nicht defizitär!

Jugendsprache, Fachsprache und Bernstein-Hypothese

Jugendsprache ist ein Soziolekt ohne einheitliche Form - sie ist hauptsächlich mündlich und nutzt Codeswitching zwischen verschiedenen Sprachebenen je nach Situation.

Fachsprachen sind berufsgebunden und haben speziellen Wortschatz. Sie ermöglichen präzise Verständigung unter Fachleuten, können aber Außenstehende ausschließen.

Die Bernstein-Hypothese unterscheidet zwischen restringiertem Code (Unterschicht) und elaboriertem Code $Ober-/Mittelschicht$. Restringiert bedeutet: kurze Sätze, kleiner Wortschatz, emotionale Ausdrücke.

Elaboriert dagegen: komplexe Satzstrukturen, großer Wortschatz, individuelle Meinungen, grammatische Korrektheit. Diese Unterscheidung ist umstritten, da sie soziale Ungleichheit sprachlich festschreibt.

💡 Kritisch hinterfragen: Ist das Beschreibung oder Bewertung sozialer Unterschiede?