Die Rolle des Kaisers und das "Reich der Mitte"
Der chinesische Kaiser stand als "Sohn des Himmels" an der Spitze des Reiches. Seine Herrschaft basierte auf dem "Mandat des Himmels", das ihm besondere Legitimität verlieh, aber auch mit großer Verantwortung verbunden war.
Herrschaftsvorstellungen und die Rolle des Kaisers
Der Kaiser als oberste Autorität:
- Besaß das "Mandat des Himmels", das ihn zum Herrschen befähigte
- War verpflichtet, als gerechter Herrscher im Rahmen enger ritueller Vorschriften zu handeln
- Sollte die Harmonie zwischen den Mächten des Universums und der Menschheit bewahren
- Fungierte als moralisches Vorbild
- Wurde als autoritäres Familienoberhaupt gesehen, das seine Untertanen umsorgen und erziehen sollte
Die Kaiser unternahmen zahlreiche Reisen, um ihr Reich zu inspizieren und ihre Herrschaft zu sichern - ein enormer logistischer Aufwand.
Das kaiserzeitliche Geschichtsverständnis war nicht linear, sondern zyklisch: Man glaubte an einen natürlichen, sich stets wiederholenden Zyklus von Aufstieg und Niedergang der Dynastien. Der Blick in die Vergangenheit und auf die Praktiken besonders tugendhafter Herrscher diente als Entscheidungshilfe.
Wichtig: Das "Mandat des Himmels" konnte dem Kaiser auch wieder entzogen werden. Naturkatastrophen, politische Unruhen oder der Sturz eines Kaisers wurden als Anzeichen interpretiert, dass der Herrscher des Himmelsmandats unwürdig geworden war.
Der Beamtenapparat
In der Praxis war die Macht des Kaisers nicht absolut:
- Es gab Machtkämpfe zwischen der Zentralregierung und lokalen Gruppen
- Beamte verfügten über enorme Macht
- Ein großer Beamtenapparat verwaltete das in Provinzen und Landkreise eingeteilte Reich vor Ort
Die Auswahl der Beamten erfolgte durch ein strenges Prüfungssystem auf Grundlage des Konfuzianismus:
- Geprüft wurden Kenntnisse der klassischen chinesischen Literatur, Philosophie, Verwaltungspraxis und Allgemeinwissen
- Theoretisch konnte jeder männliche Chinese teilnehmen
- Praktisch schaffte es nur eine kleine Zahl sehr gebildeter Chinesen
- Dadurch wandelte sich die aristokratische Gesellschaft in eine meritokratische (leistungsbasierte) Ordnung
Historischer Kontext: Dieses meritokratische System war seiner Zeit weit voraus und kann als "frühmodern" bezeichnet werden. Es nahm jedoch zu langsam neue wissenschaftliche Erkenntnisse auf, war aber jahrhundertelang ein erfolgreiches System zur Auswahl und Kontrolle der Beamten.
Das "Reich der Mitte" - Aspekte der chinesischen Mentalität
Die Bezeichnung "Reich der Mitte" hat mehrere Bedeutungsebenen:
- Geografische Lage des Kerngebiets der chinesischen Hochkultur
- Vorstellung vom chinesischen Kaiserreich als einzig zivilisiertem Reich, umgeben von "Barbaren"
- Tributpflichtige Gebiete unter chinesischem Einfluss
- Imperialistische Interessen Chinas (Vorstellung eines "Chinas ohne Grenzen")
Dieses sinozentrische Weltbild führte dazu, dass Europäer als fremd und oft als unterlegen wahrgenommen wurden. Der europäische Anspruch auf Überlegenheit wurde als heuchlerisch entlarvt.
Im 19./20. Jahrhundert vollzog sich ein Wandel des chinesischen Selbstverständnisses - vom Kulturalismus (Orientierung an chinesischer Kultur) zum Nationalismus (Orientierung an der chinesischen Nation in Abgrenzung zu anderen Nationen).
Diese Entwicklung ist für das Verständnis von "Kolonialismus im Geschichtsunterricht" von großer Bedeutung, da sie die kulturellen und politischen Reaktionen Chinas auf den westlichen Imperialismus erklärt.