Gustav Radbruchs Konzept von gesetzlichem Unrecht und übergesetzlichem Recht
Gustav Radbruch entwickelte eine einflussreiche Theorie zur Bewältigung des Konflikts zwischen positivem Recht und Gerechtigkeit. Seine Radbruchsche Formel, die für Kinder leicht erklärt werden kann, bietet Richtern eine Richtlinie, wann sie von geltendem Recht abweichen dürfen.
Definition: Die Radbruchsche Formel besagt, dass Richter sich gegen ein Gesetz und für die materielle Gerechtigkeit entscheiden müssen, wenn das Gesetz "unerträglich ungerecht" ist oder die grundsätzliche Gleichheit aller Menschen bewusst verleugnet.
Radbruch argumentiert, dass es Fälle gibt, in denen Gesetze unmoralische Handlungen oder Ungleichbehandlungen unterstützen. In solchen Situationen sollte das Naturrecht Vorrang vor dem positiven Recht haben.
Beispiel: Ein Beispiel für die Anwendung der Radbruchschen Formel wären die Mauerschützenprozesse nach der deutschen Wiedervereinigung. Hier wurde argumentiert, dass die DDR-Gesetze, die den Schusswaffengebrauch an der Grenze erlaubten, unerträglich ungerecht waren und daher keine Rechtfertigung für die Tötung von Flüchtlingen darstellten.
Das Konzept des übergesetzlichen Rechts umfasst fundamentale Prinzipien wie Menschenwürde, Meinungsfreiheit und Freiheit von Diskriminierung. Diese Prinzipien stehen über dem positiven Recht und dienen als Maßstab für die Beurteilung der Gerechtigkeit von Gesetzen.
Highlight: Die Radbruchsche Formel versucht, einen Ausgleich zwischen Rechtspositivismus und Naturrecht zu schaffen, indem sie anerkennt, dass es in extremen Fällen notwendig sein kann, vom geschriebenen Gesetz abzuweichen.
Die Theorie von Radbruch hat weitreichende Implikationen für das Verständnis von Recht und Gerechtigkeit. Sie fordert Juristen auf, kritisch über die ethischen Grundlagen des Rechts nachzudenken und nicht blindlings Gesetzen zu folgen, die fundamentale Prinzipien der Gerechtigkeit verletzen.
Kritik: Die Kritik an der Radbruchschen Formel bezieht sich oft auf die Schwierigkeit, objektiv zu bestimmen, wann ein Gesetz "unerträglich ungerecht" ist. Kritiker argumentieren, dass dies zu Rechtsunsicherheit führen könnte.
Trotz dieser Kritik bleibt Radbruchs Konzept ein wichtiger Beitrag zur Rechtsphilosophie und bietet einen wertvollen Rahmen für die Auseinandersetzung mit komplexen ethischen und rechtlichen Fragen in der modernen Gesellschaft.