Selektivität bei der Radikalischen Substitution
Die radikalische Substitution zeigt bei komplexeren Alkanen interessante Selektivitätseffekte, wie am Beispiel der Chlorierung von Propan erkennbar:
Cl2 + CH3-CH2-CH3 → CH3-CH2-CH2Cl + CH3-CHCl-CH3
43% 1-Chlorpropan 57% 2-Chlorpropan
Regioselektivität: Von zwei möglichen ähnlichen Regionen wird eine bevorzugt angegriffen.
Statistische Erwartung vs. Realität:
- Propan hat 8 H-Atome: 6 am Rand (primäre Position) und 2 in der Mitte (sekundäre Position)
- Statistisch erwartet: 75% 1-Chlorpropan und 25% 2-Chlorpropan
- Tatsächlich entstehen: 43% 1-Chlorpropan und 57% 2-Chlorpropan
Grund für die Abweichung: Die Stabilität der entstehenden Radikale ist unterschiedlich.
Bei der Reaktion entstehen:
- 1-Propyl-Radikal (primäres Radikal, wenn H am Rand abgespalten wird)
- 2-Propyl-Radikal (sekundäres Radikal, wenn H in der Mitte abgespalten wird)
Das 2-Propyl-Radikal wird bevorzugt gebildet, weil es durch die benachbarten Methylgruppen stabilisiert wird. Diese üben einen positiven induktiven Effekt (+I-Effekt) aus, indem sie Elektronen in Richtung des Elektronenmangels verschieben.
Stabilitätsreihe der Kohlenstoffradikale:
- Tertiäres Radikal (3 C-Nachbarn) > Sekundäres Radikal (2 C-Nachbarn) > Primäres Radikal (1 C-Nachbar)
Schlüsselkonzept: Die Selektivität bei der radikalischen Substitution wird durch die Stabilität der entstehenden Radikale bestimmt. Je stabiler ein Radikal ist, desto leichter wird es gebildet. Dies erklärt, warum bei der Chlorierung von Propan mehr 2-Chlorpropan entsteht als statistisch zu erwarten wäre.
Diese Selektivitätsregeln sind für die Vorhersage von Produktverteilungen bei radikalischen Substitutionen an längerkettigen Alkanen oder verzweigten Alkanen essentiell und werden in organisch-chemischen Aufgaben und Übungen häufig angewendet.