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Literarische Erörterung Woyzeck Alfons Glück

15.2.2023

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GEORG BÜCHNER (1813-1837): Woyzeck (1836/1837)
Literarische Erörterung → Übungsaufsatz
Alfons Glück: Woyzeck. Ein Mensch als Objekt (1990)
1
GEORG BÜCHNER (1813-1837): Woyzeck (1836/1837)
Literarische Erörterung → Übungsaufsatz
Alfons Glück: Woyzeck. Ein Mensch als Objekt (1990)
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GEORG BÜCHNER (1813-1837): Woyzeck (1836/1837)
Literarische Erörterung → Übungsaufsatz
Alfons Glück: Woyzeck. Ein Mensch als Objekt (1990)
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GEORG BÜCHNER (1813-1837): Woyzeck (1836/1837)
Literarische Erörterung → Übungsaufsatz
Alfons Glück: Woyzeck. Ein Mensch als Objekt (1990)
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GEORG BÜCHNER (1813-1837): Woyzeck (1836/1837) Literarische Erörterung → Übungsaufsatz Alfons Glück: Woyzeck. Ein Mensch als Objekt (1990) 1 4 5 6 8 10 Es besteht in der Literatur zu Büchners Hauptwerk eine Tendenz, die sich an den Kategorien einer 2 idealistischen Theorie der Tragödie orientiert [...]. Im Zentrum stehen dabei die Begriffe ,Freiheit und 3 ,Schuld'. Meiner Ansicht nach stellen solche Voraussetzungen ein Hindernis dar, den tragischen Grund des Woyzeck zu erfassen. Die Tragödie des Paupers steht auf einem anderen Fundament als etwa die Tragödien des späten Schiller, die unseren Begriff des Tragischen so nachhaltig bestimmt haben. Abstrakt ist dies schon des Öfteren bemerkt worden, doch es kommt auf die Konkretion und auf die 7 Konsequenzen an, die dann verfehlt werden, wenn der Boden der sozialen Tragödie überflogen wird oder auf diesen zerklüfteten Grund,Ideen' herabschweben wie jene ,Götter aus der Maschine"¹. Die 9 Interpreten, die - scheinbar selbstverständlich - die Schuld des ,Mörders' Woyzeck behaupten, führen die, Willensfreiheit als Voraussetzung von ,Schuld' und ‚Sünde ein, als sei es immer möglich, die 11 begriffliche Kontrolle aufrechtzuerhalten, wobei natürlich Unmündige, Schwachsinnige oder jene 12 spektakulären Anfälle ausgenommen sind, die man, ohne Berücksichtigung der durchschnittlich 13 unauffälligen Verlaufsformen vieler Psychosen, fälschlicherweise mit ,Wahnsinn gleichsetzt. 14 Wahnsinn aber, so nimmt man an, liegt deshalb nicht vor, weil Woyzeck nicht über dessen 15 unübersehbaren wilden Gebärden verfügt. Dagegen...

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ist einzuwenden: Einmal wird mit ,‚Freiheit des Willens vorausgesetzt, was man nachweisen sollte. Zum anderen hätte man, wenn schon die 17 Haupttatsache Psychose² übersehen wird (trotz Szenen wie H 4 und 12), sich mindestens bedenken sollen, einen Verzweifelten schuldig zu sprechen - daß Woyzecks, Tat ein Verzweiflungsausbruch ist, wird nicht gut in Abrede zu stellen sein -, um dann, wie es zu gehen pflegt, die Verursacher dieser Verzweiflung mehr oder weniger aus den Augen zu verlieren. Leicht und unversehens wird nämlich der Schuldspruch gegen den Gejagten zum Freispruch für die Jäger, vielleicht unbeabsichtigt und ungewollt: wenn nämlich Woyzecks Verantwortlichkeit und Schuld energisch betont werden, die Schuld des Hauptmanns und des Doktors dagegen zwar nicht übergangen, aber doch nur in dürren Worten und wie ein Anhang ,der Vollständigkeit halber nachgetragen wird. (Sie haben ja schließlich keinen Mord begangen - oder doch?). Und völlig im Dunklen bleibt am Ende das System, dessen bloße Organe der Hauptmann und der Doktor sind. Damit ist die soziale Tragödie gelöscht und getilgt. Und 27 schließlich muß man es auffallend finden, daß in solchen Konstruktionen die ,Freiheit - von der sonst in Zusammenhang mit einem Woyzeck nicht viel die Rede wäre ausschließlich als Kategorie des Strafrechts auftritt. 16 18 19 20 21 22 23 24 25 26 28 29 Anmerkungen: ¹ Gott aus der Maschine in griechischen Tragödien wird der zur Katastrophe sich zuspitzende Konflikt durch ein Machtwort eines Gottes gelöst, der mithilfe einer Theatermaschine auf die Bühne herunterschwebt; daher: sprich-wörtlich für jede plötzliche, unmotivierte Lösung im Drama 2 Psychose(n) - seelische Störung(en), Geistes- oder Nervenkrankheit Aufgabenstellung 1. Arbeiten Sie die Argumentation heraus und bestimmen Sie die Position des Verfassers. (ca. 30 %) 2. Setzen Sie sich mit der Position des Verfassers auseinander. (ca. 70 %) (thematische Einleitung, Basissatz zu Woyzeck und Außentext) 1 2 3 4 5 ,,Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein purer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel." Dieses Zitat aus Georg Büchners Fatalismus-Brief lässt sich auf den Protagonisten aus seinem Dramenfragment ,,Woyzeck" aus dem Jahre 1836/37 beziehen, da der Protagonist Franz Woyzeck wie eine Marionette von den Machthabenden ausgenutzt wird. In seinem Brief spricht Büchner von der menschlichen Unfähigkeit, selbstbestimmt zu handeln. Der Mensch sei dem Schicksal unterworfen und fremdbestimmt, er könne seine Hilflosigkeit erkennen, jedoch nichts dagegen 8 unternehmen. Der Literaturkritiker Alfons Glück stellt in seinem literaturwissenschaftlichen Text mit dem 9 Titel ,,Woyzeck. Ein Mensch als Objekt" aus dem Jahre 1990 fest, dass bei den meisten Interpretationen des Dramas eben diese Fremdbestimmung Woyzecks vergessen wird. 6 7 10 (Zusammenfassung Woyzeck) Das 27 Szenen umfassende Dramenfragment von Georg Büchner handelt von Franz Woyzeck, welcher 12 zusammen mit Marie ein uneheliches Kind, Christian, hat. Woyzeck und seine Familie gehören zur armen Schicht der Gesellschaft, er ist im Militär und Marie kümmert sich um ihren gemeinsamen Sohn. Um Marie und Christian finanziell zu unterstützen, arbeitet Woyzeck auch für den Hauptmann und für den Doctor, der ein wissenschaftliches Experiment mit Woyzeck durchführt. Da Marie sich nach sozialem Aufstieg, einem attraktiven Partner und sexueller Befriedigung sehnt, entwickelt sich zwischen ihr und dem Tambourmajor 17 eine Affäre. Woyzeck ist dem Tambourmajor unterlegen, sowohl materiell als auch physisch. Nachdem die 18 Affäre des Tambourmajors mit Marie öffentlich wird, kauft sich Woyzeck ein Messer und ersticht die Mutter seines Kindes. HEBESARG 11 13 14 15 16 19 20 21 22 23 BEISPIELAUFSATZ LITERARISCHE ERÖRTERUNG Georg Büchner (1813-1837): Woyzeck (1836/1837) Alfons Glück: Woyzeck. Ein Mensch als Objekt (1990) 24 25 32 33 34 (Zusammenfassung Außentext und Position des Autors) Alfons Glück bemängelt in seiner Interpretation aus dem Jahr 1990 die Tendenz anderer Interpreten, sich im Hinblick auf Woyzeck an der klassischen Tragödie zu orientieren. Dies sei insofern falsch, da ,,Freiheit" und ,,Schuld" somit zu sehr im Fokus lägen, wodurch die Tragödie Woyzecks nicht erfasst werden könne (vgl. Z. 2-4). Laut Glück gehen die kritisierten Interpreten zu wenig auf die soziale Tragödie ein und orientieren sich zu sehr an der idealistischen Theorie der Tragödie, was dazu führe, dass sie Willensfreiheit als Voraussetzung von „Schuld“ und „Sünde“ sähen (vgl. Z. 7-10). 26 Der Verfasser macht deutlich, dass er der Meinung ist, man könne die Schuld nicht allein Woyzeck 27 zuschreiben, sondern müsse den Doctor und den Hauptmann als Verursacher seiner Verzweiflung sehen, 28 was dazu geführt habe, dass Woyzeck den Mord begangen habe (vgl. Z.22f.). Man darf Woyzecks 29 ,,Psychose" (Z. 17) laut dem Autor nicht übersehen und soll den Verzweifelten nicht schuldig sprechen. Denn Büchners Dramenfragment sei ein soziales Drama, das zeige, dass Woyzeck vom System und seinen Repräsentanten zu einem Objekt degradiert werde (vgl. Titel). 30 31 Um seine Thesen zu unterstützen, verweist Alfons Glück auf Szenen im Drama (vgl. Z.17) und er betont mit den Worten in der Klammer, in welcher er provokant ironisch schreibt, dass sowohl der Hauptmann als auch der Doctor zwar keinen Mord begangen hätten (vgl. Z.24), aber dennoch schuldig seien. (Übergang) 35 Inwiefern Alfons Glücks Auffassung, Woyzeck sei der schuldig gesprochene Gejagte (vgl. Z. 21), 36 nachvollzogen werden kann, soll im Folgenden erörtert werden. ODER 37 Inwieweit die Position des Literaturwissenschaftlers gerechtfertigt ist, soll im Folgenden erläutert werden. ODER 38 Ist Woyzeck tatsächlich der schuldig gesprochene Gejagte (vgl. Z. 21) und sind es nicht eher die 39 Repräsentanten des Systems, die schuldig zu sprechen sind, wie Glück meint? (genaue und ausführliche Erörterung) Zunächst stellt sich die Frage, was eine soziale Tragödie ist und wie sie sich von der klassischen ,,idealistischen Theorie" der Tragödie unterscheidet. In der klassischen Tragödie, deren Protagonisten wegen der seit Aristoteles üblichen Ständeklausel und der Fallhöhe Menschen höheren Standes sind, geht es zumeist um die Verstrickung des Menschen in sein Schicksal und die daraus resultierende unlösbare Tragik. Die soziale Tragödie unterscheidet sich insofern davon, dass sie die zwischenmenschlichen Beziehungen 45 auch einfacher Menschen niederen Standes in den Vordergrund rückt und aufzeigt, wie die einzelne Person von deren Lebensumständen geprägt ist und zu bestimmten Handlungen verleitet wird. Man kann Woyzeck als eine solche soziale Tragödie bezeichnen, wie es auch Glück tut. Zum einen da es in dem 40 41 42 43 44 447 99 HOD COORN MAKENRED%8 46 48 49 50 51 52 So muss Woyzeck beispielsweise den Hauptmann rasieren (siehe Szene 5). In dieser Szene sieht man auch, wie der Hauptmann mit Woyzeck umgeht und mit ihm spricht: Er befiehlt ihm, was er tun muss, und benutzt 54 die Anrede ,,er", wenn er zu Woyzeck spricht, was in der Zeit, in der das Drama spielt, dann verwendet wird, 55 wenn man mit einer Person spricht, die einem selbst untergeordnet ist. Man sieht deutlich, dass der 53 56 Hauptmann keinen Respekt gegenüber Woyzeck hat, denn er macht sich über ihn lustig, wenn er beispielweise meint, der Wind sei ,,so was aus Süd-Nord" (S. 16, Z. 11f). Woyzecks Respekt vor dem 58 Hauptmann hingegen wird dadurch gezeigt, dass er nur in kurzen Sätzen wie ,,Jawohl, Herr Hauptmann“ 59 (dreimal in Szene 5, siehe S. 15, Z. 25, S. 16, Z. 3 und 13) antwortet, während der Hauptmann durchgängig spricht. Man bemerkt den Respekt Woyzecks gegenüber dem Hauptmann auch dadurch, dass er ihn ohne 61 Ausnahme mit ,,Herr Hauptmann“ (s.o.) anspricht. 57 Dramenfragment um das gesellschaftliche Ansehen der Figuren geht, aber auch weil Woyzecks Taten im Dramenfragment, wie schon von Alfons Glück erwähnt, aus Verzweiflung entstanden sind. Dadurch, dass Franz Woyzeck arm und psychisch krank ist, wird er von seinen übergeordneten Offizieren bzw. den Menschen in seinem Umfeld, die einer höheren Schicht angehören, ausgenutzt. 60 62 Ein weiteres Beispiel für einen Mangel an Respekt gegenüber Woyzeck als Person ist der Doctor, welcher 63 Woyzeck als Experiment ansieht. Dieser spricht Woyzeck ebenfalls mit ,,er" an, während Woyzeck ihm 64 formell begegnet und ihn stets ,,Herr Doctor" nennt (vgl. Szene 8). Dass der Doctor Woyzeck nur als 65 Experiment behandelt, sieht man daran, dass der Doctor ihn nur Erbsen essen lässt (siehe u.a. S. 19, Z. 18f 66 und v.a. Szene 10) und Woyzeck nicht zuhört, wenn er spricht, sondern nur erwidert: ,,Woyzeck, er 67 philosophiert wieder" (S.20, Z.8). Außerdem bezeichnet der Doctor Woyzecks ,,Aberratio" (S. 20, Z. 18) als ,,schön“ (S.20, Z. 19), was nochmals mehr wissenschaftliches Interesse als menschliches Mitgefühl zeigt. 69 Die Degradierung Woyzecks zum Objekt durch den Doctor wird auch in der Szene gezeigt, in der Woyzeck 70 wie ein dressiertes Tier alles machen soll, was der Doctor ihm befiehlt (siehe Szene 10). Hinzu kommt die 71 Bezeichnung, die der Doctor für Woyzeck verwendet: Indem er den armen Soldaten als ,,Bestie" (S. 25, Z. 72 8) bezeichnet, nimmt er ihm jede menschliche Würde. 68 73 Glück argumentiert zudem, dass Woyzecks ,,Psychose" von den Interpreten übersehen wird, 74 beziehungsweise nicht als Gegenargument gegen dessen reine Schuld wahrgenommen wird (vgl. Z. 17f.). 75 Die ,,Psychose", wie sie Glück bezeichnet, zeigt sich in einigen Szenen. Beispielsweise in der ersten Szene, 76 als Woyzeck mit seinem besten Freund, dem Soldaten Andres, über die Freimaurer spricht, eine 77 Verschwörungstheorie, von der Woyzeck überzeugt ist (siehe, S. 9). Er vermutet hinter allem die Freimaurer 78 und ist der Auffassung, die Welt ginge unter, wie beispielsweise in Szene 2, als er mit Marie spricht: „Da 79 ging ein Rauch vom Land, wie der Rauch vom Ofen?" (S. 11, Z. 12f) Dieser Satz Woyzecks erinnert an die 80 biblische Geschichte von Sodom und Gomorrha, in welcher Gott die Städte aufgrund der Bewohner, die zu 81 viel sündigen, auslöscht, und zeigt Woyzecks christlich geprägte Sozialisation, seine vor allem an der Bibel 82 orientierte und dadurch einseitige Bildung und sein Festhalten an den Lehren der Bibel (vgl. auch S. 16, 83 Z.22ff). 84 Ein weiteres psychisches Problem Woyzecks sind die Stimmen, die er hört, welche niemand sonst 85 wahrzunehmen scheint (vgl. Szene 8 und 14). Dies könnte auf eine Schizophrenie Woyzecks hindeuten, 86 welche ihm zusätzlich Schwierigkeiten bereitet. 87 Ein weiterer Einfluss, der auf Woyzeck wirkt und seine psychische Situation verschlechtert, ist Maries 88 Untreue. Ihre Affäre mit dem Tambourmajor (siehe u.a. Szene 6) erweckt in Woyzeck Eifersucht und Wut, 89 nicht nur weil Marie untreu ist, sondern auch, da sie ihn anlügt (siehe S. 14, Z. 30). Durch die Affäre werden 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 seine schlimmsten Vorstellungen wahr, und als die Affäre öffentlich wird (siehe Szene 12) und er sich sicher sein kann, dass er sich diese nicht nur einbildet, kann dies zur Folge haben, dass Woyzeck seinen restlichen Wahnvorstellungen nun noch mehr Glauben schenkt. Da er daraufhin auch noch vom Tambourmajor öffentlich gedemütigt wird, da sich dieser im Gegensatz zu Woyzeck als echten Mann darstellt (siehe S. 29, Z. 5ff) und Woyzeck verprügelt, ist in Woyzeck ein Punkt erreicht, der ihn zum Handeln zwingt, allerdings, wie er selbst meint: ,,Eins nach dem anderen" (S. 29, Z. 24) 108 109 110 111 112 113 106 Woyzecks ,,Verzweiflungsausbruch" (Z.18), wie es Glück nennt, ist also einerseits Folge der 107 Objektifizierung des einfachen Soldaten beispielsweise durch den Doctor oder den Hauptmann, andererseits aber auch Endergebnis von Woyzecks psychischen Problemen, der Untreue Maries und seines sozialen Standes beziehungsweise seiner Armut. Denn Woyzeck ist ganz und gar dem Materialismus unterworfen, in dem das Sein das Bewusstsein bestimmt. Dies zeigt auch, dass die idealistische Theorie des Hauptmanns und des Doctors, nach der der Mensch einen freien Willen hat und so alles selbstbestimmt gestalten kann, zumindest auf die Angehörigen der unteren Gesellschaftsschicht nicht zutrifft. Denn Woyzeck wird fremdbestimmt und kann nicht autonom über sein Leben entscheiden. 126 127 128 129 130 131 Man sieht deutlich Woyzecks Demütigungen, seine Wahnvorstellungen und seine kontinuierliche Paranoia, die Welt ginge unter (siehe oben). Da es niemanden zu kümmern scheint und niemand ihn wirklich versteht, nicht einmal sein bester Freund Andres, bleibt Woyzeck in diesem psychotischen Zustand und bekommt auch keine Hilfe. In Woyzecks Monologen (siehe Szene 13 und 25) wird dies unter anderem durch ständige Wiederholungen derselben Wörter wie zum Beispiel „Immer zu, stich tot, tot" (S.28, Z. 9) deutlich. Allerdings muss man auch die Zeit beachten, in der alles spielt: Woyzeck hätte wohl nicht geholfen werden können, selbst wenn sich mehr Menschen um ihn gesorgt hätten, da es zur damaligen Zeit weder viele Kenntnisse über die menschliche Psyche gab noch die notwendigen Medikamente oder Therapien, die den Betroffenen hätten helfen können (vgl. auch das historische Clarus-Gutachten, eine der Quellen Georg Büchners). 114 115 119 120 121 122 Dass viele Interpreten nun dennoch Woyzeck die Schuld geben, liegt laut Glück daran, dass der ,,Schuldspruch des Gejagten zum Freispruch für die Jäger" (Z.21) führt. Viele Literaturwissenschaftler 116 ignorieren die Schuld des Doctors und die des Hauptmanns, da diese Marie nicht direkt ermorden, sondern 117 nur Woyzeck auf psychischer Ebene belasten (vgl. Szene 9). Genau dieser Zusammenhang von Gesellschaft 118 und Individuum, beziehungsweise von Person zu Person ist es, was das Dramenfragment zu einem sozialen Drama macht. Beziehungen zu anderen und die Einwirkung dieser auf eine Person stehen im Mittelpunkt des Dramas. Es sind die Anhäufungen von Belastungen, emotional wie psychisch und physisch, die in der Ermordung Maries resultieren. Schließlich hätte Woyzeck Marie nicht ermordet, wäre es nicht aus Eifersucht und Wut gewesen. Viele Interpreten verurteilen Woyzeck aus dem alleinigen Grund, dass sie Woyzecks Umfeld zu wenig Beachtung schenken. Es lässt sich leicht derjenige verurteilen, der die Tat begangen hat, jedoch ist die Frage danach, aus welchem Grund und aus welchen Umständen eine Tat geschehen ist, die wichtigere und vor allem im sozialen Drama die entscheidende. 123 124 125 132 133 134 135 (Fazit und Rückbezug zur Einleitung) Oberflächlich betrachtet lässt sich sagen, Woyzeck ist schuldig. In der Tat ist er das, schließlich ist er derjenige, der das Messer in die Hand nimmt und Marie ermordet, und das ist nicht vertretbar. Man darf bei dem Bewerten des Dramenfragments und von Woyzecks Schuld jedoch nicht die Augen vor den gesellschaftlichen Umständen verschließen. Man muss es tiefer betrachten, um zu verstehen, was Woyzeck zu der Tat getrieben hat, und man darf den Doctor und die anderen Autoritätspersonen nicht schuldfrei darstellen, wen à sie die Personen sind, unter denen sich Woyzeck wie eine Marionette verhält. Woyzeck hat keinen Ausweg aus seinem fremdbestimmten Leben, und dies darf man bei Urteilen über Woyzecks Tat und seine Schuld nicht vergessen - und genau das hat Alfons Glück in seinem literaturwissenschaftlichen Text herausgestellt. Woyzeck wird tatsächlich von anderen gespielt, die mindestens genauso viel - wenn nicht sogar mehr Schuld haben wie Woyzeck selbst.