Sturm und Drang und Aufklärung - ein Gegensatz?
Der Sturm und Drang wird oft als Gegenbewegung zur Aufklärung dargestellt, wobei die Fronten scheinbar klar abgegrenzt sind. Während die Aufklärung Vernunft und Verstand betonte, konzentrierte sich der Sturm und Drang auf Gefühl und Individualismus. Die Aufklärer strebten nach einer Gesellschaft mündiger Bürger und Kosmopoliten, während die Stürmer und Dränger die sofortige Verwirklichung des eigenen Ichs forderten.
Highlight: Johann Georg Hamanns Aphorismus "Das Herz schlägt früher, als unser Kopf denkt - ein guter Wille ist brauchbarer als eine noch so reine Vernunft" verdeutlicht die scheinbare Gegensätzlichkeit der beiden Epochen.
Trotz dieser offensichtlichen Unterschiede ist es zu einfach, die beiden Epochen als reine Gegensätze zu betrachten. Tatsächlich verliefen Aufklärung und Sturm und Drang parallel, wobei der Sturm und Drang eine wesentlich kürzere Zeitspanne umfasste.
Definition: Der Sturm und Drang wird meist auf den Zeitraum von etwa 1770 bis 1785 datiert, beginnend mit den frühen Werken Johann Gottfried Herders und endend mit Schillers "Kabale und Liebe".
Die zeitliche Überschneidung der Epochen deutet bereits auf wesentliche Gemeinsamkeiten hin. Beide Strömungen kritisierten die Dekadenz des Adels und die institutionalisierte Kirche, forderten Menschenrechte und riefen zu mehr Selbstständigkeit auf. Der Hauptunterschied lag in den Formen der bürgerlichen Emanzipation:
Example: Die Aufklärung setzte auf die Kraft des Verstandes und der Vernunft, um gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Der Sturm und Drang hingegen forderte die radikale Freiheit des Einzelnen und die Verwirklichung des Selbst, auch gegen äußere Widerstände.
In diesem Sinne kann der Sturm und Drang als Radikalisierung der Grundtendenzen der Aufklärung verstanden werden. Aus Kants aufgeklärtem Aufruf "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen" wird im Sturm und Drang die Forderung, Mut zu haben, sich selbst zu leben.
Vocabulary: Epoche: Ein Zeitabschnitt in der Geschichte oder Literatur mit bestimmten charakteristischen Merkmalen.