Wilhelm Tell 2 Aufzug 1 Szene: Konflikt zwischen Tradition und Ambition
Die erste Szene des zweiten Aufzugs in Friedrich Schillers "Wilhelm Tell" spielt sich im gotischen Saal des Freiherrn Werner von Attinghausen ab. Hier entfaltet sich ein intensiver Dialog zwischen dem Freiherrn und seinem Neffen Ulrich von Rudenz, der einen tiefgreifenden Generationskonflikt und politischen Zwiespalt offenbart.
Highlight: Der Kern des Konflikts liegt in Rudenz' Entscheidung, sich den Habsburgern anzuschließen, was Attinghausen als Verrat am Vaterland betrachtet.
Attinghausen versucht mit Nachdruck, seinen Neffen von diesem Schritt abzuhalten. Er argumentiert, dass Rudenz sich damit von seinen Wurzeln, seiner Familie und seinen Freunden entfremden würde. Der Freiherr betont die Bedeutung der Treue zum eigenen Land und zur Tradition.
Quote: "Auf der Gegnerseite wirst du allein sein, noch dazu deine Freunde und deine Familie gegen dich gestellt."
Rudenz hingegen bringt gewichtige Gegenargumente vor. Er fühlt sich in seiner Heimat fremd und zweifelt an der Fähigkeit seines Landes, sich gegen den Reichsvogt zu behaupten. Seine Motivation wird zusätzlich durch seine Liebe zu Berta von Bruneck, einer reichen Erbin auf der Seite der Habsburger, verstärkt.
Vocabulary: Reichsvogt - Ein vom Kaiser eingesetzter Verwalter und Richter in einem bestimmten Gebiet.
Diese Szene ist von zentraler Bedeutung für das Drama, da sie die Perspektive des Adels auf die politische Situation beleuchtet. Schiller nutzt den Verrat von Rudenz, um zu zeigen, dass sich der Adel nicht unmittelbar bedroht fühlt und die Notlage der bäuerlichen Bevölkerung nicht vollständig erfasst.
Example: Rudenz' Weigerung, aus demselben Kelch wie die Knechte zu trinken (Vers 764), symbolisiert seine Distanz zum einfachen Volk und seinen Stolz.
Der Kontrast zwischen Attinghausen, der eng mit dem Volk verbunden ist, und Rudenz, der sich davon distanziert, wird deutlich herausgearbeitet. Schiller nutzt diese Gegenüberstellung möglicherweise, um Probleme der Französischen Revolution zu diskutieren, die sich einige Jahre zuvor ereignet hatte.
Definition: Rütlischwur - Ein legendärer Eid, der in der folgenden Szene von Vertretern der drei Waldstätte geleistet wird und gegenseitige Unterstützung im Kampf gegen die Unterdrückung verspricht.
Gegen Ende der Szene zeigt sich in der Verteilung des Sprachumfangs, dass Attinghausen verzweifelt versucht, Rudenz zum Bleiben zu bewegen, während dieser sich zunehmend verschließt. Dies spiegelt sich auch in Rudenz' Körpersprache und seinem abrupten Abgang wider.
Schillers Botschaft in dieser Szene ist klar: Der Adel kann in Krisenzeiten unzuverlässig sein, da er die wahre Gefahr der Situation oft nicht erkennt. Diese Kritik lässt sich als Kommentar zu den Ereignissen der Französischen Revolution von 1789 verstehen und gewinnt in der Gegenüberstellung mit der folgenden Szene, in der das Volk den Rütlischwur leistet, besondere Bedeutung.
Interpretation: Die Szene kann als Warnung vor politischer Kurzsichtigkeit und als Plädoyer für Volksnähe und Solidarität verstanden werden.