Textanalyse: Der Besuch der alten Dame
Friedrich Dürrenmatts "Der Besuch der alten Dame" ist ein Meisterwerk der Tragikomödie, das die Grenzen zwischen Schuld, Verantwortung und moralischem Verfall in der modernen Gesellschaft auslotet. Der Autor wählt bewusst dieses Genre, um die Komplexität der menschlichen Natur und die Absurdität des 20. Jahrhunderts darzustellen.
Zitat: ,,Die Tragödie setzt Schuld, Not, Maß, Übersicht, Verantwortung voraus. In der Wurstelei unseres Jahrhunderts [...] gibt es keine Verantwortlichen mehr. Alle können nichts dafür und haben es nicht gewollt. [...] Uns kommt nur noch die Komödie bei."
Diese Worte Dürrenmatts unterstreichen seine Intention, die Verantwortungslosigkeit und moralische Ambiguität seiner Zeit durch das Mittel der Komödie zu kritisieren.
Die Handlung des 1956 erschienenen Werks dreht sich um die Rückkehr einer Milliardärin in ihre Heimatstadt Güllen. Diese einst florierende Kulturstadt ist zu einem Schatten ihrer selbst verkommen, während sich die Nachkriegswirtschaft andernorts erholt.
Highlight: Die Gegenüberstellung von Güllens Niedergang und dem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung verstärkt die Dramatik der Situation.
Die Hauptfiguren des Stücks sind:
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Alfred III: Der beliebte Ladenbesitzer, dessen Ansehen auf seiner früheren Beziehung zur zweiten Hauptfigur beruht. Im Laufe der Handlung gesteht er sich zunehmend seine Schuld ein und akzeptiert schließlich sein Schicksal.
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Claire Zachanassian: Die zurückkehrende Multi-Milliardärin, früher als Klara Wäscher bekannt. Sie ist durch zahlreiche Unfälle gezeichnet und trägt Prothesen. Ihr Charakter wird als verbittert und egoistisch beschrieben, geprägt von skrupellosem Einsatz ihres durch Heiraten erworbenen Reichtums.
Vocabulary: Prothesen - Künstliche Körperteile, die fehlende oder nicht funktionierende Gliedmaßen ersetzen.
Die Stadtbewohner, angeführt vom Bürgermeister, verkörpern die moralische Korruption durch Geldgier. Sie verraten ihre Ideale und rechtfertigen dies später als Wiederherstellung der Gerechtigkeit.
Definition: Tragikomödie - Ein dramatisches Genre, das tragische und komische Elemente verbindet, um komplexe menschliche Situationen darzustellen.
Dürrenmatt nutzt dieses Werk, um den übermäßigen Einfluss des Geldes in der modernen Gesellschaft zu kritisieren. Er zeigt, wie schnell moralische Prinzipien angesichts finanzieller Verlockungen bedeutungslos werden können.
Beispiel: Die Bereitschaft der Güllener, für Geld ihre moralischen Überzeugungen aufzugeben, illustriert die zentrale Thematik des Stücks.
Der Autor möchte verdeutlichen, dass unsere Gesellschaft zu materialistisch orientiert ist und dass diese Fixierung auf das Materielle zu Handlungen führen kann, die unter normalen Umständen als höchst verwerflich gelten würden.
Die Analyse schließt mit einer persönlichen Reflexion über die Darstellung der menschlichen Beziehung zum Geld in dieser Tragikomödie. Es wird betont, wie Menschen nach materiellen Dingen streben, um sich Wohlbefinden oder Beliebtheit zu verschaffen. Dabei werden verschiedene Wege aufgezeigt, wie Menschen dieses Ziel verfolgen - von langsam und ehrlich bis hin zu hastig und mit unlauteren Mitteln, wobei einige sogar bereit sind, dafür über Leichen zu gehen.
Highlight: Die Schlussbetrachtung unterstreicht die zeitlose Relevanz von Dürrenmatts Werk, indem sie die anhaltende Gültigkeit seiner Kritik an der materialistischen Gesellschaft hervorhebt.
Der Besuch der alten Dame bleibt somit ein kraftvolles literarisches Werk, das die Leser dazu anregt, über die moralischen Grundlagen unserer Gesellschaft und den Einfluss des Geldes auf unser ethisches Handeln nachzudenken.