Das Rocky-Experiment von Albert Bandura
Albert Bandura führte das berühmte "Rocky-Experiment" durch, um zu untersuchen, ob Lernprozesse stattfinden können, ohne dass der Lernende das Verhalten selbst ausführt und ohne dass er direkte Konsequenzen erfährt. Dieses Experiment, auch bekannt als "Bobo-Doll-Experiment", lieferte wichtige Erkenntnisse über das Lernen am Modell und die Rolle von Beobachtung und Konsequenzen im Lernprozess.
Versuchsaufbau und Durchführung
Die Versuchsgruppe bestand aus 66 Kindern im Alter von 4-5 Jahren, gleichmäßig aufgeteilt in 33 Jungen und 33 Mädchen. Das Experiment wurde in drei Phasen durchgeführt:
Phase 1: Beobachtungsphase
In dieser Phase wurden die Kinder in drei Gruppen eingeteilt. Alle Gruppen beobachteten die gleiche Szene: Ein erwachsener Mann namens Rocky schlug mit einem Hammer auf eine aufblasbare Puppe, die "Bobo-Doll". Den Kindern in den verschiedenen Gruppen wurden jedoch unterschiedliche Enden der Szene gezeigt:
- Gruppe 1: Rocky wurde für sein Verhalten bestraft.
- Gruppe 2: Rocky wurde für sein Verhalten belohnt.
- Gruppe 3: Es wurden keine Konsequenzen für Rockys Verhalten gezeigt.
Highlight: Diese Phase des Experiments demonstrierte, wie unterschiedliche Konsequenzen für ein Modell die Wahrnehmung und potenzielle Nachahmung eines Verhaltens beeinflussen können.
Phase 2: Imitationsphase
In der zweiten Phase wurden die Kinder einzeln in einen Raum mit der Bobo-Doll gebracht. Die Reaktionen der Kinder variierten je nach der zuvor beobachteten Konsequenz:
- Gruppe 1: Die Kinder, die gesehen hatten, wie Rocky bestraft wurde, imitierten das aggressive Verhalten kaum.
- Gruppe 2: Die Kinder, die Rockys Belohnung beobachtet hatten, zeigten eine starke Imitation des aggressiven Verhaltens.
- Gruppe 3: Die Kinder, die keine Konsequenzen gesehen hatten, imitierten das Verhalten teilweise.
Beispiel: Ein Kind aus Gruppe 2 könnte die Puppe mehrmals mit einem Spielzeughammer schlagen, während ein Kind aus Gruppe 1 möglicherweise nur kurz und zögerlich mit der Puppe interagiert.
Phase 3: Verstärkungsphase
In der letzten Phase wurden alle Kinder von den Erzieherinnen aufgefordert, die Puppe zu schlagen. Anschließend wurden sie für dieses aggressive Verhalten belohnt. Die Ergebnisse zeigten:
- Gruppe 1: Das imitierte Verhalten stieg sehr stark an.
- Gruppe 2: Das Verhalten stieg etwas an.
- Gruppe 3: Auch hier war ein leichter Anstieg zu beobachten.
Kritik: Das Experiment wirft ethische Fragen auf, da es Kinder dazu ermutigt, aggressives Verhalten zu zeigen. In modernen Forschungsdesigns würden solche Methoden kritisch hinterfragt werden.
Schlussfolgerungen und Bedeutung
Das Rocky-Experiment lieferte wichtige Erkenntnisse für die sozial-kognitive Lerntheorie:
- Lernen kann durch reine Beobachtung stattfinden, ohne dass der Lernende das Verhalten selbst ausführt oder direkte Konsequenzen erfährt.
- Die beobachteten Konsequenzen für ein Modell beeinflussen stark die Wahrscheinlichkeit der Nachahmung.
- Direkte Verstärkung kann zuvor gehemmtes Verhalten aktivieren.
Vocabulary: Enthemmender Effekt: Beschreibt die Zunahme eines zuvor gehemmten Verhaltens nach Beobachtung oder direkter Verstärkung.
Diese Erkenntnisse haben weitreichende Implikationen für Erziehung, Bildung und Psychologie. Sie unterstreichen die Bedeutung von Vorbildern und die Macht von Beobachtungslernen, insbesondere bei Kindern. Gleichzeitig mahnen sie zur Vorsicht bei der Darstellung von Gewalt in Medien und im Alltag.
Das Experiment von Bandura bleibt ein Meilenstein in der Erforschung des Modellernens und hat unser Verständnis davon, wie Menschen, insbesondere Kinder, durch Beobachtung lernen, grundlegend erweitert.