Die Ausgangssituation: Kontrolle und Sorge
Stell dir vor, deine Eltern würden sich nur Sorgen machen, wenn du alleine das Haus verlässt - genau so geht es Emilia Galotti in Lessings bürgerlichem Trauerspiel von 1772. Während Prinz Hettore Gonzaga heimlich in sie verliebt ist und ihre Hochzeit mit Graf Appiani sabotieren will, ahnen ihre Eltern noch nichts von dieser Gefahr.
Die Szene beginnt damit, dass Odoardo Galotti nach Hause kommt und sofort nach seiner Tochter fragt. Als er von seiner Frau Claudia erfährt, dass Emilia alleine zur Messe gegangen ist, flippt er fast aus - typisch für die damalige Zeit, wo Frauen ständig überwacht werden mussten.
Die Machtverhältnisse werden sofort klar: Odoardo duzt seine Frau, aber sie siezt ihn zurück. Das zeigt uns, wer hier das Sagen hat. Er stellt ihre Entscheidungen in Frage und macht deutlich, dass er als Familienoberhaupt die Kontrolle behalten will.
Merke dir: Die förmliche, elaborierte Sprache der beiden zeigt nicht nur ihre gesellschaftliche Stellung, sondern auch die Distanz in ihrer Ehe - sie leben getrennt, obwohl sie verheiratet sind.