Das bürgerliche Trauerspiel: Merkmale, Theorie und Beispiele
Das bürgerliche Trauerspiel stellt einen bedeutenden Wendepunkt in der deutschen Literaturgeschichte der Aufklärung dar. Diese dramatische Gattung, die besonders durch Lessing geprägt wurde, unterscheidet sich fundamental von der klassischen Tragödie.
Definition: Das bürgerliche Trauerspiel ist eine dramatische Gattung des 18. Jahrhunderts, die erstmals bürgerliche Protagonisten in den Mittelpunkt einer Tragödie stellt.
Die Merkmale des bürgerlichen Trauerspiels zeigen sich in mehreren Aspekten. Im Gegensatz zur klassischen Tragödie wird hauptsächlich Prosa statt Versform verwendet. Die Protagonisten stammen aus dem Bürgertum, nicht aus dem Adel. Die Fallhöhe ist geringer, aber die emotionale Tiefe ist bedeutend. Die Themen des bürgerlichen Trauerspiels kreisen oft um familiäre Konflikte, moralische Dilemmata und gesellschaftliche Zwänge.
Lessings Mitleidstheorie bildet die theoretische Grundlage dieser Gattung. Sie stellt eine Neuinterpretation der aristotelischen Dramentheorie dar und betont, dass das Unglück nicht von der sozialen Stellung abhängt, sondern von der seelischen Tiefe der Charaktere.
Beispiel: "Miss Sara Sampson" 1755 von Lessing gilt als erstes deutsches bürgerliches Trauerspiel. Die Handlung dreht sich um die Titelheldin Sara, die mit Mellefont durchbrennt. Die Komplexität der Charaktere zeigt sich besonders in der Figur der Marwood, Mellefonts früherer Geliebten, die durch ihre Intrigen Saras Tod herbeiführt.
Der Aufbau des bürgerlichen Trauerspiels folgt meist einer klaren Struktur: Die Exposition führt die bürgerlichen Protagonisten ein, der Konflikt entwickelt sich durch moralische oder familiäre Spannungen, und die Katastrophe resultiert oft aus der Unvereinbarkeit von individuellen Wünschen und gesellschaftlichen Normen.
Highlight: Die Bedeutung des bürgerlichen Trauerspiels liegt in seiner revolutionären Darstellung des Bürgertums als tragödienfähige Gesellschaftsschicht und seinem Beitrag zur Emanzipation der bürgerlichen Kultur.
Das Personal des bürgerlichen Trauerspiels zeichnet sich durch psychologische Tiefe und moralische Ambivalenz aus. Die Charaktere sind nicht mehr in eindeutige Gut-Böse-Schemata einzuordnen, sondern zeigen komplexe Motivationen und innere Konflikte.