Die literarischen Besonderheiten des Vorlesers
Die Erzählperspektive im "Der Vorleser" wechselt geschickt zwischen dem erlebenden und dem erzählenden Ich-Erzähler. Als erlebender Ich-Erzähler lässt Michael uns direkt an seinen Emotionen teilhaben, wenn er Hannas ersten Brief beschreibt. Als erzählender Ich-Erzähler reflektiert er aus zeitlicher Distanz über die Bedeutung des Lesens und Schreibens für Hanna.
Besonders auffällig ist Michaels Reaktion auf Hannas Entwicklung. Er empfindet gleichzeitig Freude und Traurigkeit – Freude über ihren Fortschritt, aber Traurigkeit darüber, dass dieser so spät im Leben kommt. Er fragt sich: "Ist spät allemal besser als nie?" Diese Frage bleibt unbeantwortet und spiegelt Michaels ambivalente Gefühle wider.
Die Beziehung zwischen Hanna und Michael wird durch das Motiv des Vorlesens aufrechterhalten. Obwohl Hanna inzwischen selbst lesen kann, schickt Michael ihr weiterhin Kassetten. Diese Form der Kommunikation ermöglicht es ihm, eine emotionale Verbindung zu halten, ohne sich direkt mit seiner komplexen Gefühlslage auseinandersetzen zu müssen.
💡 Die "strenge Schönheit" von Hannas Schrift symbolisiert ihre innere Wandlung – aus der dominanten, ungebildeten Frau wird eine reflektierende Person, die sich mit Literatur auseinandersetzt.
Hannas literarische Bemerkungen zeigen eine erstaunliche Tiefe, obwohl sie die historischen Hintergründe der Autoren nicht kennt. Michael beobachtet, dass sie die Autoren als Zeitgenossen betrachtet, was ihm eine neue Perspektive auf die Literatur eröffnet.