Die Gretchenfrage und die Schuldfrage
Die berühmte "Gretchenfrage" ist zu einem geflügelten Wort geworden. Sie bezeichnet eine unangenehme, oft peinliche, aber für eine Entscheidung wesentliche Frage. Im Drama fragt Gretchen Faust: "Nun sag', wie hast du's mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, Allein ich glaub', du hältst nicht viel davon."
Diese Frage offenbart den tiefen Wertekonflikt zwischen den beiden. Gretchen lebt nach christlichen Werten und urteilt danach, während Faust der Religion abgeschworen und einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat. Die Frage stellt Faust vor ein Dilemma: Eine ehrliche Antwort würde Gretchen wahrscheinlich abstoßen und seinen Plänen im Weg stehen. Gleichzeitig wäre sie für Gretchen kaum in ihrer vollen Bedeutung verständlich.
Fausts ausweichende Antwort zeigt, dass es nicht auf die Bezeichnung "Gott" ankomme; man könne auch ohne ihn gläubig sein, wenn es einen selbst ausfüllt. Bemerkenswert ist, dass Gretchen instinktiv Mephistos wahre Natur erkennt – er ist ihr "instinktiv zuwider und verhasst".
Bei der Schuldfrage geht es um die Verantwortung für Gretchens tragisches Ende. Obwohl Gretchen ihr Kind getötet hat – ein schweres Verbrechen – wird sie im Drama als von Schuld befreit dargestellt. Am Ende von Faust I heißt es: "Ist gerettet!", weil sie sich dem Gericht Gottes übergeben hat.
Faust trägt eine erhebliche Mitschuld an Gretchens Unglück, wie seine eigenen Worte bezeugen: "Was muss geschehn, mag's gleich geschehn! Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen und sie mit mir zugrunde gehn!"
Wichtig für das Abitur: Die Gretchenfrage und die Schuldfrage sind zentrale Elemente für die Interpretation der moralischen Dimension in Goethes "Faust" und zeigen die Konfrontation zwischen traditionellen religiösen Werten und modernem Individualismus.