Analyse von Novalis' "Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren"
Novalis, einer der bedeutendsten Dichter der deutschen Romantik, verfasste das Gedicht "Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren" im Jahr 1800. Dieses Werk ist ein prägnantes Beispiel für die romantische Kritik an der Aufklärung und dem rein rationalen Denken.
Highlight: Das Gedicht besteht aus einer einzigen Strophe mit 12 Versen, geschrieben in einem 14-hebigen Jambus mit Paarreim.
Die formale Struktur des Gedichts ist bemerkenswert:
- Es verwendet durchgehend den Paarreim (aa bb cc usw.).
- Die Verse weisen eine wechselnde Kadenz auf, wobei die ersten zehn Verse eine weibliche Kadenz haben und die letzten beiden eine männliche.
Vocabulary: Kadenz bezeichnet in der Verslehre den Versausgang, also die letzten betonten und unbetonten Silben eines Verses.
Novalis setzt verschiedene stilistische Mittel ein, um seine Botschaft zu vermitteln:
- Anapher: Die Wiederholung von "Wenn" am Versanfang strukturiert das Gedicht und verstärkt die Aussage.
- Metaphern und Symbole: "Zahlen und Figuren" stehen symbolisch für rationales Denken und Wissenschaft.
- Personifikation: Abstrakte Konzepte wie "Welt" und "Leben" werden personifiziert.
Example: "Wenn sich die Welt ins freye Leben / Und in die Welt wird zurück begeben" personifiziert die Welt und das Leben.
Der Inhalt des Gedichts kritisiert die Überbewertung der Naturwissenschaften und des rationalen Denkens. Novalis stellt dem die Bedeutung von Gefühl, Intuition und poetischer Weltanschauung gegenüber.
Quote: "Wenn die, so singen oder küssen, / Mehr als die Tiefgelehrten wissen"
Diese Zeilen verdeutlichen Novalis' Überzeugung, dass emotionale und künstlerische Erfahrungen tiefere Einsichten vermitteln können als rein wissenschaftliches Wissen.
Das Gedicht gipfelt in der Vorstellung einer Welt, in der Rationalität und Gefühl, Wissenschaft und Poesie in Harmonie existieren:
Quote: "Dann fliegt vor Einem geheimen Wort / Das ganze verkehrte Wesen fort."
Diese Schlussverse deuten auf eine mystische Transformation hin, in der die einseitige Betonung des Rationalen überwunden wird.
Definition: Die Romantik als literarische Epoche (ca. 1795-1835) zeichnete sich durch eine Hinwendung zum Gefühl, zur Natur und zum Mystischen aus, oft in bewusster Abgrenzung zur Rationalität der Aufklärung.
Novalis' "Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren" ist somit ein Schlüsseltext der deutschen Romantik, der die Sehnsucht nach einer ganzheitlichen Weltsicht jenseits reiner Rationalität ausdrückt und für eine Versöhnung von Verstand und Gefühl, Wissenschaft und Poesie plädiert.