Der Eisenbahnunfall als Wendepunkt
Im weiteren Verlauf der Kurzgeschichte "Auf dem Balkon" von Alfred Polgar wird ein entscheidendes Ereignis beschrieben: ein Eisenbahnunglück, das sich direkt vor den Augen der Balkongäste abspielt. Dieses Unglück bildet den Höhepunkt der Erzählung und dient als Prüfstein für die Reaktionen und das Mitgefühl der privilegierten Beobachter.
Zunächst wird die Welt "tief unten" aus der erhöhten Perspektive der Gesellschaft beschrieben. Eine Dame vergleicht einen vorbeifahrenden Zug mit einem Spielzeug, obwohl dieser mit hoher Geschwindigkeit fährt. Diese Wahrnehmung verdeutlicht den Realitätsverlust und das fehlende Bewusstsein der Oberschicht für die Welt außerhalb ihrer privilegierten Blase.
Beispiel: Die Dame sieht den Zug wie ein Spielzeug, obwohl er mit "hundert Stundenkilometer" fährt. Dies zeigt, wie weit die Oberschicht von der Realität entfernt ist.
Als sich der Eisenbahnunfall ereignet, wird die Reaktion der Balkongäste detailliert beschrieben. Zunächst scheint es, als könne dieses Ereignis die Kluft zwischen den sozialen Schichten überbrücken. Die Geräusche des Unfalls dringen zu ihnen herauf, als würde der "Abendwind etwas von den Geräuschen des Krachens und des Splitterns" zu ihnen tragen.
Stilmittel: Die Personifikation des Abendwinds, der die Geräusche des Unfalls überträgt, verstärkt die emotionale Distanz der Beobachter zum Geschehen.
Die anfängliche Betroffenheit der Gesellschaft weicht jedoch schnell einer oberflächlichen Anteilnahme. Sie erkundigen sich lediglich, ob jemand aus ihrer eigenen Schicht zu den Opfern gehört. Als dies verneint wird, verblassen die Unglücksbilder rasch, und die Gäste wenden sich wieder ihren gewohnten Themen zu.
Highlight: Die schnelle Rückkehr zur Normalität nach dem Unfall zeigt die mangelnde echte Empathie der Oberschicht.
Dieser Moment offenbart die wahre Natur der Charaktere und ihre Unfähigkeit, echtes Mitgefühl für Menschen außerhalb ihres eigenen Kreises zu empfinden. Alfred Polgar nutzt dieses Ereignis geschickt, um die Scheinheiligkeit und moralische Leere der dargestellten Gesellschaftsschicht zu entlarven.
Die Kurzgeschichte endet damit, dass die Gäste wieder ihren Wein trinken und sich anderen Themen wie der Politik zuwenden, während das Unglück unten am See in Vergessenheit gerät. Diese Szene unterstreicht die Kritik Polgars an der Oberflächlichkeit und dem mangelnden Verantwortungsbewusstsein der privilegierten Klasse.
Interpretation: Die schnelle Rückkehr zur Normalität symbolisiert die Unfähigkeit oder den Unwillen der Oberschicht, sich ernsthaft mit den Problemen der Welt auseinanderzusetzen.
Alfred Polgar gelingt es in "Auf dem Balkon", durch präzise Beobachtungen und subtile Stilmittel ein scharfes Porträt einer Gesellschaftsschicht zu zeichnen, die in ihrer eigenen Welt gefangen ist und die Realität außerhalb ihres privilegierten Kreises ignoriert oder verzerrt wahrnimmt.