1. Aufzug, 2. Auftritt: Rechas Engelsglaube und Nathans rationale Sicht
In diesem Auftritt von Nathan der Weise entfaltet sich ein tiefgründiger Dialog über Glauben, Vernunft und Menschlichkeit. Recha, Nathans Tochter, ist fest davon überzeugt, dass ein Engel sie aus einem Brand gerettet hat. Sie argumentiert leidenschaftlich für ihre Nathan der Weise Interpretation, indem sie betont: "Es war gewiss ein wirklicher" (Vers 288 ff). Ihre Überzeugung stützt sich auf die Annahme, dass ein Tempelherr in Jerusalem von Saladin nicht geduldet würde, was die Präsenz eines menschlichen Retters unwahrscheinlich macht.
Daja, Rechas christliche Gesellschafterin, unterstützt diesen Wunderglauben. Sie fragt rhetorisch: "Was schadets?" (Vers 258 ff) und verstärkt Rechas Ansicht, indem sie argumentiert, dass ein Mensch den Dank für eine solche Tat nicht abgelehnt hätte.
Nathan hingegen vertritt eine rationale Perspektive in dieser Nathan der Weise Szenenanalyse. Er bezeichnet Rechas Überzeugung als "Stolz" (Vers 294) und sogar als "Unsinn oder Gotteslästerung" (Vers 300). Mit der Anrede "Grausame Schwärmerin" (Vers 329) an Recha unterstreicht er seine Ablehnung ihrer Interpretation.
Highlight: Nathans Standpunkt reflektiert eine aufgeklärte, humanistische Weltanschauung, die im Kontrast zu Rechas und Dajas religiös geprägter Interpretation steht.
Nathan besteht darauf, dass es ein Mensch war, der aus reiner Menschlichkeit gehandelt hat. Er betont die Wichtigkeit, diesem Menschen zu danken, anstatt sich in religiösen Vorstellungen zu verlieren. Seine Aussage "andächtig schwärmen [sei] leichter als Gut handeln" (Vers 360 f) fasst seine Philosophie prägnant zusammen.
Definition: Schwärmerei: In diesem Kontext bezieht sich der Begriff auf eine übertriebene, unreflektierte religiöse Begeisterung, die Nathan kritisch sieht.
Diese Szene ist zentral für die Charakterisierung der Figuren in Nathan der Weise. Sie zeigt Recha als gläubig und emotional, Daja als Unterstützerin christlicher Vorstellungen und Nathan als Vertreter der Vernunft und Humanität. Der Konflikt zwischen Glauben und Vernunft, ein Hauptthema des Werkes, wird hier deutlich herausgearbeitet.
Vocabulary: Tempelherr - Ein Mitglied des Templerordens, eines christlichen Ritterordens zur Zeit der Kreuzzüge.
Die sprachlichen Mittel in diesem Auftritt sind vielfältig. Lessing nutzt den Dialog, um die unterschiedlichen Perspektiven zu kontrastieren und die Argumente der Charaktere zu entwickeln. Die verwendeten Metaphern und rhetorischen Fragen dienen dazu, die Positionen zu verdeutlichen und die Zuschauer zum Nachdenken anzuregen.
Quote: "Was schadets?" - Diese Frage Dajas verdeutlicht ihre unkritische Haltung gegenüber Rechas Wunderglauben und steht im Kontrast zu Nathans rationaler Herangehensweise.
Insgesamt bietet dieser Auftritt eine tiefgründige Analyse der religiösen und philosophischen Themen, die Nathan der Weise durchziehen. Er legt den Grundstein für die weitere Entwicklung der Charaktere und die Auseinandersetzung mit Fragen der Toleranz und des menschlichen Zusammenlebens über religiöse Grenzen hinweg.