Vergleich der Industrialisierung in England und Deutschland
Die Industrialisierung verlief in England und Deutschland unterschiedlich, was auf verschiedene begünstigende und hemmende Faktoren zurückzuführen ist. Diese Unterschiede lassen sich in mehreren Bereichen beobachten:
Politik und Gesellschaft
England profitierte von einer einheitlichen Staatsstruktur und fortschrittlicheren politischen Verhältnissen. Es war ein Flächenstaat mit konstitutioneller Monarchie, die dem Bürgertum Freiheitsrechte und politische Mitsprache gewährte. Im Gegensatz dazu war Deutschland von territorialer und staatlicher Zersplitterung geprägt, was als Partikularismus bezeichnet wird.
Vocabulary: Partikularismus bezeichnet die Zersplitterung Deutschlands in viele kleine Staaten vor der Reichsgründung 1871.
Die deutsche Gesellschaft war noch stark von der Ständeordnung geprägt, mit Leibeigenschaft und Zunftzwang, was die Entwicklung eines unternehmerisch orientierten Bürgertums behinderte.
Bevölkerung und Mobilität
In England gab es eine starke Bevölkerungszunahme und hohe Mobilität, was zu einem großen Angebot an Arbeitskräften führte. Die deutsche Bevölkerung war hingegen stärker an das Land gebunden und weniger mobil.
Wirtschaftsraum und -system
England verfügte über einen großen Binnenmarkt mit geregeltem Zoll- und Finanzsystem. Der Wirtschaftsliberalismus förderte die industrielle Entwicklung. Deutschland litt unter kleineren Absatzmärkten und unterschiedlichen Zöllen, Währungen und Maßeinheiten in den verschiedenen Staaten.
Definition: Wirtschaftsliberalismus ist eine Wirtschaftsordnung, die auf freiem Unternehmertum und minimaler staatlicher Einflussnahme basiert.
Landwirtschaft und Geografie
England hatte zwar kleinere Ackerflächen, setzte aber neue, ertragssteigernde Anbaumethoden ein. Deutschland verfügte über größere Ackerflächen, nutzte jedoch weniger innovative Methoden. Die lange Küstenlinie Englands begünstigte den Handel, während Deutschland weniger Zugang zum Meer hatte.
Handel und Kolonien
England profitierte erheblich von seinen Kolonien und dem transatlantischen Dreieckshandel. Als Seemacht konnte es früh den Weltmarkt mit billigen Textilprodukten beherrschen. Deutschland hatte keine Kolonien und betrieb weniger Außenhandel, was zu einem Wettbewerbsnachteil führte.
Ressourcen und Infrastruktur
Beide Länder verfügten über Rohstoffvorkommen, wobei England große und leicht abzubauende Kohlevorkommen hatte. Die Infrastruktur in England war besser entwickelt, mit guten Kanälen und Straßen sowie kurzen und kostengünstigen Verkehrswegen. Deutschland hatte anfangs weniger Kanäle und schlechtere Straßen.
Erfindungen und Innovationen
England war führend bei Erfindungen im Bereich der Textilverarbeitung und Antriebskraft. Deutschland musste diese Technologien zunächst übernehmen.
Highlight: Die Voraussetzungen der Industrialisierung in England waren insgesamt günstiger als in Deutschland, was erklärt, warum die Industrialisierung in England früher begann.
Trotz der anfänglichen Hemmnisse gelang es Deutschland, den Rückstand aufzuholen und sich ebenfalls zu industrialisieren. Die Ursachen der Industrialisierung in Deutschland lagen in der späteren Überwindung politischer und wirtschaftlicher Hindernisse sowie in der Adaption englischer Technologien.
Example: Ein Beispiel für die Aufholjagd Deutschlands ist die Gründung des Deutschen Zollvereins 1834, der die wirtschaftliche Einigung vorantrieb.
Diese Analyse zeigt die komplexen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Industrialisierung in England und Deutschland und verdeutlicht, wie verschiedene Faktoren den Industrialisierungsprozess beeinflussten.