Wilhelm Heitmeyer und das Desintegrations-Verunsicherungs-Gewalt Konzept
Wilhelm Heitmeyer, geboren 1945, ist ein renommierter Professor für Pädagogik mit Schwerpunkt Sozialisation. Von 1996 bis 2013 leitete er das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung in Bielefeld. Sein Desintegrations-Verunsicherungs-Gewalt Konzept ist ein bedeutender Beitrag zur Erklärung von Gewaltursachen in der Gesellschaft.
Der Kerngedanke seiner Heitmeyer Theorie besagt, dass Gewalt durch gesellschaftliche Prozesse entsteht, insbesondere durch Desintegrationserfahrungen und Perspektivlosigkeit. Ein zentraler Aspekt ist die Individualisierung, die das Lösen von gesellschaftlichen Fixierungen und die Entwicklung eigener Lebensentwürfe beschreibt.
Definition: Individualisierung bezeichnet den Prozess, bei dem Menschen sich von traditionellen gesellschaftlichen Bindungen lösen und eigene Entscheidungen für ihren Lebenslauf treffen.
Faktoren, die zur Entwicklung der Individualisierung beitragen, sind:
- Steigerung des materiellen Lebensstandards durch Konsum
- Zunehmende Mobilität, insbesondere die Entwicklung der Erwerbstätigkeit von Frauen
- Bildungsexpansion, die zu längeren Schullaufbahnen führt
Diese Entwicklungen bieten einerseits mehr Chancen für die individuelle Entwicklung, machen aber andererseits die soziale Ungleichheit stärker von individuellen Faktoren abhängig.
Highlight: Die Individualisierung kann zu Desintegrationspotentialen führen, die sich in verschiedenen Lebensbereichen manifestieren.
Desintegrationspotentiale nach Heitmeyer umfassen:
- Familiäre Probleme wie instabile Familienverhältnisse oder emotionale Abwesenheit
- Wechselnde Werte und Normen in der Gesellschaft
- Unsicherheiten bezüglich der eigenen Meinung und Perspektive
- Mangelnde gesellschaftliche Teilhabe, insbesondere Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt
Example: Ein Beispiel für ein Desintegrationspotential wäre ein Jugendlicher aus einer zerrütteten Familie, der aufgrund mangelnder Unterstützung Schwierigkeiten hat, sich in der Schule zu integrieren und eine berufliche Perspektive zu entwickeln.
Verunsicherungen spielen in Heitmeyers Konzept eine zentrale Rolle. Sie haben eine emotionale Komponente, die sich in Zukunftsangst, niedrigem Selbstwertgefühl und allgemeinen Unsicherheitsgefühlen äußern kann. Zudem gibt es Handlungsunsicherheiten, die sich in Orientierungs-, Entscheidungs- und Wirksamkeitsproblemen zeigen.
Vocabulary: Verunsicherung nach Heitmeyer bezeichnet den Zustand der Unsicherheit und des Zweifels, der durch gesellschaftliche Veränderungen und individuelle Erfahrungen entsteht.
Der Umgang mit diesen Verunsicherungen kann entweder zu einer stimulierenden Unsicherheit führen, die einen aktiven Umgang mit Problemen fördert, oder zu einer paralysierenden Unsicherheit, die lähmt und potenziell in Gewalt münden kann.