Der Individualisierungsprozess nach Heitmeyer
Individualisierung bedeutet nach Heitmeyers Definition einen ständig zunehmenden Konkurrenzkampf um Anerkennung und Akzeptanz in der Gesellschaft. Jugendliche entwickeln unterschiedliche Strategien, um mit dieser Herausforderung umzugehen.
Einige Jugendliche bewältigen dies durch ein eigenständiges Lebensplanungskonzept, das aus biografischen Erfahrungen, aktuellen Eindrücken und Zukunftsvorstellungen besteht. Andere wählen eine verschiebende Bearbeitungsweise, bei der sie passiv bleiben und die Dinge geschehen lassen. Die dritte Variante sind gewaltförmige Handlungsweisen, die der individuellen oder kollektiven Durchsetzung dienen, aber negative Folgen für das Zusammenleben haben.
Die Desintegration-Verunsicherungs-Gewalt-Theorie Heitmeyers erklärt, dass dort, wo sich soziale Bindungen auflösen, die Folgen des eigenen Handelns für andere nicht mehr berücksichtigt werden. Gewalt entsteht demnach als Ausdruck sozialer Prozesse: Sie hat für die Handelnden immer einen subjektiven Sinn, auch wenn sie für Außenstehende sinnlos erscheint.
Wichtig zu verstehen: Die Ambivalenz der Individualisierung nach Heitmeyer zeigt sich darin, dass der gleiche gesellschaftliche Prozess sowohl zu positiver Selbstentfaltung als auch zu Desintegration und Gewalt führen kann.
Bei negativer Individualisierung unterscheidet Heitmeyer vier Gewaltarten: Expressive Gewalt (Streben nach Einzigartigkeit und Aufmerksamkeit), instrumentale Gewalt (zielgerichtete Problemlösung), regressive Gewalt (politisch motiviert gegen Minderheiten) und autoaggressive Gewalt (Selbstverletzung). Diese Unterscheidung hilft, die verschiedenen Motivationen hinter Gewalthandlungen zu verstehen.