Der Individualisierungsprozess nach Heitmeyer
Heitmeyers Theorie beschreibt Individualisierung als zunehmenden Konkurrenzkampf um Anerkennung und Akzeptanz. Dieser Prozess zwingt Jugendliche, mit entstehenden Verunsicherungen umzugehen und eigene Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
Die Theorie identifiziert drei Hauptbewältigungsmöglichkeiten: Das eigenständige Lebensplanungskonzept, bei dem Jugendliche aktiv gegen Verunsicherung vorgehen, indem sie biografische Erfahrungen, aktuelle Eindrücke und Zukunftsperspektiven integrieren. Die verschiebende Bearbeitungsweise führt dagegen zu passivem, fatalistischem Hinnehmen der Umstände. Als dritte Option entstehen gewaltförmige Handlungsweisen, die der individuellen oder kollektiven Durchsetzung dienen, aber destruktive Folgen haben.
Laut Heitmeyer nimmt die Desintegration aufgrund ambivalenter Individualisierungsprozesse und sozialer Ungleichheiten zu. Wo sich soziale Bindungen auflösen, werden die Folgen des eigenen Handelns für andere zunehmend ausgeblendet. Gewalt entsteht dabei durch individuelle Sozialisationserfahrungen und spezifische Interaktionskontexte.
Wichtig zu wissen: Obwohl Gewalthandlungen für Außenstehende oft sinnlos erscheinen, haben sie für die Ausführenden einen subjektiven Sinn. Jedes Individuum sucht nach Legitimation, um eigene Gewalthemmungen zu überwinden.
Bei negativer Individualisierung unterscheidet Heitmeyer vier Gewaltarten: Expressive Gewalt (Streben nach Einzigartigkeit und Aufmerksamkeit mit beliebigen Opfern), instrumentale Gewalt (zielgerichtete Problemlösung mit bestimmten Opfern), regressive Gewalt (politisch motivierte Gewalt gegen Minderheiten als Versuch, eigene Desintegration rückgängig zu machen) und autoaggressive Gewalt (Selbstverletzung).