Charakterisierung Nathan der Weise anhand des 1. Aufzug, 1. Akt
Im Folgenden wird der Namensgeber des Dramas, "Nathan der Weise", welches im 18. Jahrhundert von Gotthold Ephraim Lessing veröffentlicht wurde, charakterisiert. Das Drama ist ein typisches Werk der Aufklärung. Nathan hat die Wunschvorstellung des respektvollen Umgangs von Judentum, Christentum und Islam. Durch seine aufgeklärte Denkweise ist er ein Vordenker, der auf seinem Lebensweg versucht, Menschen positiv zu beeinflussen. In dem Drama stehen Familienzusammenhänge im Vordergrund.
In dem ersten Akt des ersten Aufzugs geht es um die Rückkehr Nathans, der von dem fast-Tod seiner Adoptivtochter Recha überrascht wird. Nathan ist ein reicher jüdischer Kaufmann mittleren Alters, welcher sich besonders durch seine Großzügigkeit, seine vernünftige Denkweise und seine fürsorgliche Vaterrolle auszeichnet. Diese ernst genommene Vaterrolle und die Liebe zu seiner Tochter wird durch die Reaktion auf die Nachricht, dass seine Tochter beinahe bei einem Brand ums Leben gekommen ist, untermalt (V. 20 ff): "Verbrannt? Wer? Meine Recha? Sie? [...] So hätte ich keines Hauses mehr bedurft [...] Töte mich!". Die oft wiederholten Satzzeichen "?" und "!" und der parataktische Aufbau dieser Szene sind Ausdruck von Hilflosigkeit und Sorge, die Nathan in diesem Moment spürt.
Anhand des 17. bis 18. Verses "Dann, Daja, hätten wir ein neues uns Gebaut und ein bequemeres" lässt sich vermuten, dass Nathan, aufgrund seines Vermögens, nicht an materiellen Gütern hängt. Dass Nathan in Vers 27 bis 28, zwar vorwurfsvoll, aber keineswegs ausfällig darauf reagiert, dass Daja ihn erst hat glauben lassen, dass seine Tochter tot sei, beweist Nathans Impulskontrolle: "Warum erschreckest du mich denn?". Im weiteren Verlauf des Aktes reagiert Nathan distanziert und nüchtern auf die zynischen und vorwurfsbehafteten Provokationen seitens Daja, bspw. Vers 32 ff. "Nennt ihr alles, was ihr besitzt mit ebenso viel Rechte das Eure?". Dieses Antwortverhalten spiegelt die weise Lebensweise und die positive Lebenseinstellung Nathans wieder. Auf diese Frage antwortet Nathan, dass er sein Besitztum dem Schicksal zu verdanken hätte (vgl. V.34 f). Damit wird untermalt, dass Nathan bodenständig ist und sich keineswegs durch materiellen Besitz oder Konsum definiert.
Des Weiteren bringt er mit dem Ausruf in Vers 30 bis 31, "Wenn ich mich je entwöhnen müsste, Dies Kind mein Kind zu nennen!" seine väterliche Liebe zu Recha zum Ausdruck. In Vers 57, "Doch bin ich nur ein Jude. - Gelt, das willst du sagen", bekommt der Leser den Eindruck, Nathan sei in der Vergangenheit oft mit Antisemitismus konfrontiert und auf seine Religion reduziert worden. Außerdem spricht Nathans Frage dafür, dass er aufgrund seiner Religion oft nicht erstgenannt wird. Dieser Vers lässt vermuten, dass Nathan in dieser Weise gekränkt ist und ihn diese Einstellung vieler Menschen traurig macht. Trotz der Abneigung Vieler und dem schweren gesellschaftlichen Stand als Jude lässt sich Nathan nicht von seinem Glauben abbringen, was für einen starken Charakter spricht. Außerdem bringt diese Einstellung zum Ausdruck, dass Nathan nicht mit der Mehrheit schwimmt. Er sieht seine Meinung allerdings auch nicht als absolut und achtet Andersdenkende. Diese Achtung und Toleranz zeigt sich dadurch, dass die Christin Daja eine ihm nahestehende Person ist und er eine christlich getaufte Tochter großzieht.
Im übernächsten Vers bringt er seine kontrollierte Wut durch den Imperativ "Schweig!" zum Ausdruck. Auch hier zieht er eine Grenze, ohne ausfallend zu werden. Dadurch, dass Daja aufhört, ihn zu provozieren, wird dem Leser bewusst, dass Nathan nicht häufig auf seine Grenzen aufmerksam macht und das Thema Religion für ihn ein sensibles ist. Trotz Dajas Art Nathan gegenüber ist er ihr nicht böse, was auf ein gutausgeprägtes allgemeines Vertrauen in die Menschen weist. Zudem sieht er seine Angestellte Daja als festes Glied seiner Familie, was in Vers 17 "Dann hätten wir ein neues gekauft", durch das Personalpronomen "Wir" untermauert wird.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Nathan eine weltoffene, aufklärende und reife Persönlichkeit ist, die sich nicht durch Besitz, sondern durch Nächstenliebe und Wertschätzung definiert. Nathan ist ein weiser Mensch mit viel Lebenserfahrung, der Vernunft geleitet und vorausschauend durchs Leben geht und versucht, andere Menschen positiv zu beeinflussen.