"Der Verlorene" von Hans-Ulrich Treichel ist ein bewegender Roman, der die Nachkriegszeit in Deutschland aus der Perspektive eines jungen Erzählers beleuchtet.
Der Roman spielt in den 1950er Jahren und handelt von einer Familie, die während der Flucht aus Ostpreußen am Ende des Zweiten Weltkriegs ihren erstgeborenen Sohn Arnold verloren hat. Der namenlose Ich-Erzähler, der jüngere Bruder, wächst im Schatten dieses Verlustes auf. Die Charakterisierung der Mutter zeigt eine vom Verlust gezeichnete Frau, die sich nie wirklich von diesem Trauma erholt hat. Die Familie betreibt eine Metzgerei in Westdeutschland und versucht, ein neues Leben aufzubauen, während sie gleichzeitig nach dem verlorenen Sohn sucht.
Die Interpretation des Werkes offenbart mehrere Ebenen: Zum einen die persönliche Geschichte einer Familie, die mit Verlust und Schuld kämpft, zum anderen die kollektive Erfahrung der Nachkriegsgeneration. Der Roman thematisiert die Schwierigkeit der Identitätsfindung des jüngeren Bruders, der sich ständig mit dem idealisierten Bild des verlorenen Arnold vergleichen muss. Das Ende des Romans bleibt bewusst offen und zeigt, wie die Suche nach dem verlorenen Bruder die Familie sowohl zusammenhält als auch auseinandertreibt. Anders als in der biblischen Geschichte vom verlorenen Sohn gibt es hier keine versöhnliche Heimkehr. Der Text ist in seiner Struktur und Erzählweise einer Novelle ähnlich, wird aber als Roman klassifiziert, da er komplexe psychologische Entwicklungen über einen längeren Zeitraum darstellt.