Erzähltechnik und Spannungsaufbau
Die Analyse des Romananfangs von "Soll und Haben" offenbart eine ausgeklügelte Erzähltechnik, die typisch für die Epoche des Poetischen Realismus ist. Der Autor Gustav Freytag bedient sich des auktorialen Erzählens, was sich in verschiedenen Aspekten der Narration zeigt.
Der Erzählstandort ist allwissend über dem Geschehen angesiedelt. Der Erzähler verfügt über umfassende Kenntnisse über den Ort und seine Bewohner. Interessanterweise nutzt er diese Allwissenheit nicht vollständig aus, sondern setzt sie gezielt ein, um Spannung aufzubauen. Dies wird besonders deutlich in Sätzen wie "... wurde der Held dieser Erzählung geboren" und "... wenn nicht ein Zufall seinen Beruf bestimmt hätte."
Definition: Auktoriales Erzählen - Eine Erzählperspektive, bei der der Erzähler allwissend ist und das Geschehen überblickt.
Die Sichtweise wechselt geschickt zwischen Außen- und Innensicht. Während der Großteil der Erzählung aus der Außenperspektive geschildert wird, gibt es immer wieder Einblicke in die Gedankenwelt der Figuren. So erfahren wir von Antons Überlegungen und den Gefühlen seiner Eltern.
Example: Ein Beispiel für die Innensicht ist die Darstellung von Antons Gedanken und die Beschreibung der Gefühlswelt von Vater und Mutter Wohlfahrt.
Die Erzählhaltung ist durchweg wohlwollend und humorvoll. Ostrau wird als sympathischer Ort geschildert, ohne dass die möglicherweise provinzielle Lage negativ dargestellt wird. Besonders in der Beschreibung von Antons Kindheit und dem Stolz seiner Eltern zeigt sich der humorvolle Ton des Erzählers.
Quote: "Anton war ein gutes Kind, das nach der Ansicht seiner Mutter vom ersten Tage seines Lebens die staunenswertesten Eigenschaften zeigte."
Diese Erzähltechnik trägt maßgeblich dazu bei, dass der Leser sich am Ort des Geschehens wohl fühlt, Sympathien für die Figuren entwickelt und gespannt darauf ist, wie sich die Geschichte um den Musterknaben Anton weiterentwickeln wird. So gelingt es Freytag, von Beginn an eine enge Bindung zwischen Leser und Text herzustellen - ein Merkmal, das für die Spuren des erzählt werdens in "Soll und Haben" charakteristisch ist.