Gegenpositionen und Weiterentwicklungen der Sapir-Whorf-Hypothese
Die Sapir-Whorf-Hypothese hat seit ihrer Formulierung zahlreiche Diskussionen und Gegenpositionen hervorgerufen. Verschiedene Wissenschaftler haben die Theorie kritisch hinterfragt, weiterentwickelt oder teilweise widerlegt. Diese Auseinandersetzung hat zu einem differenzierteren Verständnis des Zusammenhangs zwischen Sprache und Denken geführt.
Leo Weisgerber (1899-1985) vertrat die Auffassung, dass die Grammatik Weltansichten bedingt. Er verglich die Strukturen verschiedener Sprachen und kam zu interessanten Schlussfolgerungen:
Beispiel: Im Deutschen ist das Subjekt prägend und wird oft als Verursacher oder Täter eines Geschehens dargestellt (z.B. "Der Hund bellt"). Im Japanischen hingegen steht die Tätigkeit im Vordergrund (etwa "klein Hundes Bellen"). Dies könnte auf unterschiedliche Fokussierungen in der Weltansicht hindeuten.
Dieter E. Zimmer (geb. 1934) stimmte mit Whorf darin überein, dass Sprache das Denken erleichtert, widersprach aber der Idee, dass sie es formt. Er betonte, dass ähnliche kognitive Prozesse überall existieren.
Highlight: Zimmer argumentierte, dass konkrete Begriffe die Wahrnehmung strukturieren und die teilweise Unübersetzbarkeit abstrakter Begriffe die Unterschiedlichkeit von Sprache und Denken zeigt.
Helmut Gipper (1919-2005) nahm eine vermittelnde Position ein. Er lehnte die Idee einer Determinierung des Denkens durch Sprache ab, erkannte aber eine enge Beziehung zwischen beiden an. Gipper betonte die Notwendigkeit, verschiedene Wahrnehmungen und Ausdrucksweisen zu erkennen und zu tolerieren.
Guy Deutscher (geb. 1969) kritisierte Whorfs Behauptung eines beschränkenden Einflusses der Sprache auf das Denken. Er argumentierte, dass die Muttersprache die Wahrnehmung nicht eingrenzt, räumte aber ein, dass sie einen gewissen Einfluss haben kann.
Quote: Deutscher: "Die Kultur bestimmt unsere Wahrnehmung, und die Muttersprache hat einen gewissen Einfluss auf unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit."
Er führte als Beispiel die Farbwahrnehmung an, die in verschiedenen Kulturen und Sprachen unterschiedlich sein kann. Auch die Raumwahrnehmung kann variieren, wie das Beispiel der Aborigines zeigt, die sich an Himmelsrichtungen orientieren, im Gegensatz zu unserem Rechts-Links-Vorne-Hinten-System.
Diese verschiedenen Perspektiven und Kritiken haben dazu beigetragen, die Sapir-Whorf-Hypothese zu verfeinern und ein nuancierteres Verständnis des Zusammenhangs zwischen Sprache, Denken und Kultur zu entwickeln. Sie zeigen, dass die Beziehung zwischen Sprache und Denken komplex und vielschichtig ist und weiterer Forschung bedarf.