Der Mensch als Mängelwesen nach Arnold Gehlen
Arnold Gehlen, ein bedeutender deutscher Philosoph und Soziologe, entwickelte die These vom "Mensch als Mängelwesen". Diese Theorie bildet einen zentralen Aspekt seiner philosophischen Anthropologie und bietet einen einzigartigen Blick auf die menschliche Natur und Kultur.
Gehlen argumentiert, dass der Mensch im Naturzustand ein Mängelwesen ist, das seiner Umwelt schutzlos ausgeliefert und ohne kulturelle Errungenschaften nicht überlebensfähig wäre. Im Gegensatz zu Tieren verfügt der Mensch weder über spezialisierte Organe noch über stark ausgeprägte Instinkte, die sein Verhalten automatisch steuern und sein Überleben sichern würden.
Definition: Ein Mängelwesen ist nach Gehlen ein Lebewesen, das aufgrund seiner biologischen Ausstattung nicht an eine spezifische Umwelt angepasst ist und daher auf kulturelle Kompensation angewiesen ist.
Diese scheinbare Schwäche wird jedoch zur Stärke des Menschen. Anstatt sich an die Umgebung anzupassen, nutzt der Mensch seine Fähigkeiten, um die Umwelt seinen Bedürfnissen anzupassen. Dies führt zur Entwicklung von Kultur und Technik als Kompensation für die natürlichen Mängel.
Beispiel: Der Mensch hat kein dichtes Fell zum Schutz vor Kälte, aber er entwickelte Kleidung und Behausungen als kulturelle Lösungen für diesen Mangel.
Gehlen betont die Rolle von Institutionen in der menschlichen Gesellschaft. Diese bieten dem Menschen Verhaltensorientierung und fördern das Zusammenleben. Institutionen wie Familie, Staat oder Religion geben allgemeingültige Regeln vor und schützen so das menschliche Wesen.
Highlight: Die Fähigkeit des Menschen, Kultur zu schaffen und Institutionen zu bilden, ist nach Gehlen die entscheidende Kompensation für seine biologischen Mängel.
Allerdings können Institutionen den Menschen sowohl entlasten als auch einschränken. Sie bieten Orientierung und Sicherheit, können aber auch die individuelle Entfaltung behindern. Der Mensch ist auf diese Institutionen angewiesen, da er sie als naturgegeben betrachtet.
Vocabulary: Institutionen sind gesellschaftliche, staatliche oder kirchliche Einrichtungen, die dem Wohl oder Nutzen des Einzelnen oder der Allgemeinheit dienen.
Gehlens Theorie des "Mensch als Mängelwesen" bietet somit eine umfassende Erklärung für die Entwicklung menschlicher Kultur und Gesellschaft. Sie zeigt, wie der Mensch aus seiner biologischen Unzulänglichkeit heraus die Fähigkeit entwickelt hat, seine Umwelt zu gestalten und komplexe soziale Strukturen zu schaffen.
Quote: "Der Mensch macht aus der Not seiner wenig spezifischen sensorischen und motorischen Fähigkeiten eine Tugend, indem er sie dazu nutzt, die Umgebung seinen Bedürfnissen anzupassen, anstatt sich selbst an die Umgebung anzupassen."
Diese Perspektive auf den Menschen als Kulturwesen erklärt nicht nur die Entstehung von Technologie und Zivilisation, sondern auch die Bedeutung von sozialen Strukturen und Institutionen für das menschliche Überleben und Gedeihen. Gehlens Theorie bleibt ein wichtiger Beitrag zur philosophischen Anthropologie und zum Verständnis der menschlichen Natur.