Krappmanns Theorie der Identität und identitätsfördernde Fähigkeiten
Lothar Krappmann entwickelte eine einflussreiche Theorie zur Identität in der Pädagogik, die auf dem symbolischen Interaktionismus aufbaut. Im Zentrum seiner Theorie stehen vier identitätsfördernde Fähigkeiten, die es dem Individuum ermöglichen, eine balancierende Ich-Identität zu entwickeln.
Die erste dieser Fähigkeiten ist die Rollendistanz.
Definition: Rollendistanz bezeichnet die Fähigkeit, sich von außen kritisch zu betrachten, zu reflektieren und aus seiner Rolle herauszutreten.
Dies ermöglicht es Menschen, Normen und Erwartungen zu interpretieren und zu hinterfragen, anstatt sie blind zu übernehmen.
Die zweite Fähigkeit ist Empathie.
Definition: Empathie nach Krappmann ist die Fähigkeit, einen Menschen zu erfassen und seine Gefühle zu verstehen, ohne zu urteilen.
Empathie ist eng mit dem Konzept des "role-taking" verbunden, also der Fähigkeit, sich in die Rolle eines anderen zu versetzen.
Die dritte Fähigkeit ist die Ambiguitätstoleranz.
Definition: Ambiguitätstoleranz beschreibt die Fähigkeit, neben der Befriedigung durch Interaktion auch Unbefriedigung zu ertragen.
Diese Fähigkeit ist wichtig, um Diskussionen standzuhalten und Rollenkonflikte zu tolerieren.
Die vierte Fähigkeit ist die Identitätsdarstellung.
Definition: Identitätsdarstellung ist die Fähigkeit, die eigene Identität in Interaktionen darzustellen.
Dies beinhaltet die "presentation of self" und bietet endlose Möglichkeiten, die eigene Persönlichkeit zu präsentieren.
Krappmann betont, dass sich diese Fähigkeiten während der Entwicklung bilden und die Familie dabei eine wichtige Instanz darstellt. Er unterscheidet zwischen "personal identity" (individuelle Biografie, Einzigartigkeit) und "social identity" (Anpassung an gesellschaftliche Normen und Werte).
Highlight: Krappmann postuliert, dass eine gelungene Ich-Identität erreicht ist, wenn man sich bei der Interaktion anpasst, aber gleichzeitig auch eine individuelle Persönlichkeit bleibt.
In Bezug auf die Theorie von Mead erweitert Krappmann dessen Konzepte im Hinblick auf Identität. Während Mead von "I" und "Me" als Teilkomponenten der Identität spricht, fokussiert Krappmann auf die balancierende Identität und die vier identitätsfördernden Fähigkeiten.
Example: Ein Beispiel für Rollendistanz könnte sein, wenn ein Lehrer in der Lage ist, seine eigene Lehrmethode kritisch zu hinterfragen und anzupassen, anstatt starr an vorgegebenen Mustern festzuhalten.
Aus pädagogischer Sicht ergeben sich wichtige Konsequenzen aus Krappmanns Theorie:
- Förderung von Selbstsicherheit durch Mitwirken und Gewährung von Freiräumen
- Ermutigung zur Rollendistanz, indem nicht jedes Verhalten hingenommen, sondern auch begründet Kritik geübt wird
- Stärkung der Ambiguitätstoleranz durch das Erfahren von Frustration, Diskussionen und Gruppenarbeiten
Quote: "Ich-Identität ist gelungen, wenn man sich bei der Interaktion anpasst, aber gleichzeitig auch eine individuelle Persönlichkeit bleibt."
Abschließend lässt sich sagen, dass Krappmanns Theorie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von Identitätsentwicklung in der Pädagogik leistet und praktische Ansatzpunkte für die Förderung einer ausgewogenen Identität bietet.