Wilhelm Heitmeyers Desintegrations-Verunsicherungs-Gewalt-Konzept
Wilhelm Heitmeyer, ein renommierter Sozialpsychologe, entwickelte die Theorie der sozialen Desintegration, um komplexe gesellschaftliche Phänomene wie Gewalt, Rechtsextremismus und ethisch-kulturelle Konflikte zu erklären. Sein Konzept basiert auf der Sozialisationstheorie von Hurrelmann und analysiert die Gewaltentstehung auf drei Ebenen: der gesellschaftlichen (strukturellen), der sozialen (interpersonellen) und der intrapsychischen (Persönlichkeits-) Ebene.
Highlight: Heitmeyers Theorie legt besonderen Wert auf den Prozess der Individualisierung bei Jugendlichen.
In Heitmeyers Theorie wachsen Jugendliche in ihre Rollen hinein, anstatt in vorgegebene Rollen gedrängt zu werden. Dies bedeutet, dass die Biografie eines Menschen aus festgelegten Strukturen gelöst wird, und der Einzelne zum Gestalter seines eigenen Lebens wird.
Definition: Individualisierung nach Heitmeyer bezeichnet den Prozess, bei dem sozial vorgegebene Biografien in selbst gestaltete transformiert werden.
Die treibenden Kräfte hinter dieser Individualisierung sind:
- Eine erhebliche Verbesserung des materiellen Lebensstandards
- Erhöhte soziale und geografische Mobilität der Bevölkerung
- Die Bildungsexpansion
Auf der interpersonellen Ebene manifestiert sich die Individualisierung durch die Auflösung traditioneller Lebenszusammenhänge. Auf individueller Ebene kann dies zu Herausforderungen in der Persönlichkeitsentwicklung führen.
Vocabulary: Ambivalenzen sind widersprüchliche Gefühle oder Einstellungen, die im Sozialisationsprozess auftreten können.
Die Individualisierung kann sowohl Entscheidungsfreiheiten als auch -zwänge mit sich bringen, was zu einem erhöhten Entscheidungsdruck führen kann. Dieser Druck entsteht durch die Ambivalenzen im Sozialisationsprozess, der von komplexen Suchbewegungen geprägt ist.
Example: Ein Beispiel für Ambivalenz könnte sein, dass ein Jugendlicher einerseits nach Unabhängigkeit strebt, andererseits aber emotionale Sicherheit in familiären Strukturen sucht.
Die Unfähigkeit, diese Ambivalenzen zu bewältigen, führt zur Schattenseite der Individualisierung, die Heitmeyer als Desintegration bezeichnet. Er identifiziert folgende Desintegrationserfahrungen:
a) Gefährdung sozialer Beziehungen und Gemeinschaftsformen
b) Gefährdung der Verständigung über gemeinsame soziale Wert- und Normvorstellungen
c) Gefährdung der Teilnahmebereitschaft an gesellschaftlichen Institutionen
Quote: "Probleme innerhalb der Familie sorgen für mehr Entscheidungszwänge und somit entstehen Desintegrationserfahrungen."