Die Ernüchterung
Mit der Zeit machte Hans Scholl jedoch Erfahrungen, die seine anfängliche Begeisterung dämpften. Als Fähnleinführer sammelte er eigene Lieder, darunter auch Volkslieder aus anderen Ländern. Doch diese wurden plötzlich verboten - ohne Begründung. "Warum sollte er diese Lieder, die so schön waren, nicht singen dürfen? Nur weil sie von anderen Völkern ersonnen waren?", fragt Inge Scholl in ihrer Schilderung.
Beim Nürnberger Parteitag erlebte Hans eine weitere Enttäuschung. Was er dort sah, stand im Widerspruch zu seinen eigenen Idealen: "Dort Drill und Uniformierung bis ins persönliche Leben hinein - er aber hätte gewünscht, dass jeder Junge das Besondere aus sich machte, das in ihm steckte." Die Realität der NS-Jugendorganisation mit ihrer starren Gleichschaltung enttäuschte seinen Wunsch nach einer Gemeinschaft, in der individuelle Stärken gefördert werden.
Der endgültige Bruch kam, als ein höherer Führer die selbstgestaltete Fahne seiner Gruppe konfiszieren wollte. Diese Fahne hatte für Hans und seine Jungen eine besondere Bedeutung als Symbol ihrer Gemeinschaft. Als er den kleinen Fahnenträger beschützte, indem er dem Führer eine Ohrfeige gab, verlor er seine Position als Fähnleinführer. Dieses Erlebnis zeigt den Konflikt zwischen persönlicher Überzeugung und dem unbedingten Gehorsam, den das NS-System forderte.
💡 Wichtig: Das NS-System funktionierte nach dem "Führerprinzip" - unbedingter Gehorsam wurde auf allen Ebenen gefordert. Wer dieses Prinzip in Frage stellte, wurde ausgeschlossen oder bestraft.