Gottfried Benns ernüchternde Reisekritik
Während Eichendorff noch romantisch vom Aufbruch träumt, rechnet Gottfried Benn in "Reisen" (1950) gnadenlos mit unseren Reiseillusionen ab. Sein Gedicht ist wie ein Realitätscheck nach zwei Weltkriegen.
Benn fragt ironisch, ob Zürich, Havana oder New York wirklich tiefere Erfahrungen bieten. Die rhetorischen Fragen und die Ironie machen deutlich: Nein, tun sie nicht! Selbst die berühmte Fifth Avenue kann die innere Leere nicht füllen.
Das "ewige Manna" (biblisches Himmelsbrot) wird zur sarkastischen Metapher - als würden diese Orte spirituelle Nahrung bieten. Die Aufzählung von "Bahnhofstraßen und Ruen, Boulevards, Lidos" zeigt die Austauschbarkeit aller Reiseziele.
Benns Kernbotschaft: "Ach, vergeblich das Fahren!" Die Lösung liegt nicht im Reisen, sondern im "stille bewahren das sich umgrenzende Ich". Echte Erkenntnis findet man in sich selbst, nicht in der Ferne.
Epochenwissen: Benns Skepsis spiegelt die Nachkriegsstimmung - nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts sind romantische Reiseträume nicht mehr glaubwürdig.