Das linguistische Relativitätsprinzip nach Whorf
Benjamin Whorfs Text zum "linguistischen Relativitätsprinzip" ist ein Schlüsseltext, der die Beziehung zwischen Sprache und Denken aus relativistischer Perspektive betrachtet. Um ihn mit Boroditskys Ansatz vergleichen zu können, musst du seine zentralen Thesen verstehen.
Whorf formuliert seine Hauptthese gleich zu Beginn: Das linguistische System (die Grammatik) einer Sprache ist nicht nur ein Werkzeug zum Ausdruck von Gedanken, sondern formt selbst die Gedanken. Er wendet sich damit gegen die Vorstellung, dass Sprache lediglich ein neutrales Medium zur Wiedergabe von Gedanken sei.
Seine Argumentationsweise ist wissenschaftlich und baut auf linguistischen Erkenntnissen auf. Whorf nutzt den Vergleich verschiedener Sprachstrukturen, um seine These zu untermauern: "Als die Linguisten so weit waren, eine größere Anzahl von Sprachen mit sehr verschiedenen Strukturen kritisch und wissenschaftlich untersuchen zu können, erweiterten sich ihre Vergleichsmöglichkeiten."
💡 Whorfs zentrales Bild ist das Kaleidoskop: Die Welt präsentiert sich uns als "kaleidoskopartiger Strom von Eindrücken", den erst unser Geist - geprägt durch unser Sprachsystem - organisiert.
Ein zentrales Konzept in Whorfs Text ist die "Verabredung" innerhalb einer Sprachgemeinschaft. Er argumentiert, dass wir an einer impliziten Übereinkunft teilhaben, die Welt auf eine bestimmte Weise zu organisieren - kodifiziert in den Strukturen unserer Sprache. Diese Verabredung ist "absolut obligatorisch" - wir können nicht sprechen, ohne uns dieser Ordnung zu unterwerfen.
Besonders interessant ist Whorfs Schlussfolgerung für die Wissenschaft: Kein Individuum hat die Freiheit, die Natur völlig unparteiisch zu beschreiben, sondern ist auf bestimmte Interpretationsweisen beschränkt. Dies stellt die Objektivität wissenschaftlicher Erkenntnis grundsätzlich in Frage.
Im Vergleich zu Boroditsky formuliert Whorf seine Position radikaler. Während Boroditsky eine Wechselwirkung zwischen Sprache und Denken annimmt, betont Whorf stärker die Determiniertheit des Denkens durch die Sprache. Dennoch teilen beide die grundlegende Annahme, dass sprachliche Strukturen unsere Wahrnehmung und unser Denken beeinflussen.
Diese relativistische Position hat weitreichende Konsequenzen für unser Verständnis von Kommunikation, Wissenschaft und interkulturellem Austausch. Sie regt uns an, die vermeintliche Selbstverständlichkeit unserer eigenen Weltwahrnehmung kritisch zu hinterfragen.