Kritische Betrachtung und historische Einordnung
War die Weimarer Klassik zu weltfremd für ihre Zeit? Goethe und Schiller unterschieden sich in ihrer Antike-Rezeption: Goethe als Naturidealist sah in der Antike naturentsprechende Schönheit, Schiller als Vernunftidealist betonte die Harmonie zwischen Leben und Ideal.
Ihr zentrales Ziel - Bildung statt Politik - wirkt heute problematisch. Die Klassiker glaubten, dass kulturelle Weiterbildung wichtiger sei als politische Veränderungen. Menschen sollten durch Kunst frei werden, nicht durch organisierte Politik.
Diese Haltung offenbart jedoch eine privilegierte bürgerliche Perspektive. Während Goethe und Schiller in komfortablen Verhältnissen über Humanität philosophierten, hatten die untersten Schichten weder Zeit noch Mittel für ästhetische Bildung. Politische Unfreiheit verhinderte überhaupt erst den Zugang zu Kunst und Kultur.
Die anthropologischen Annahmen der Klassik waren nicht falsch, aber zu idealistisch angesichts der revolutionären Zeit. Ihre Vision funktioniert nur in einer Welt, in der Menschen bereits ein Grundmaß an äußerer Freiheit besitzen, um innere Freiheit durch Kunst zu erreichen.
Fazit: Die Klassik war genial in der Theorie, aber blind für die sozialen Realitäten ihrer Zeit - ein typisches Problem des Bildungsbürgertums.