Arbeiterschaft und Verfassung im Kaiserreich
Die Arbeiterschaft lebte in ständiger Unsicherheit. Ältere Arbeiter waren von Altersarmut bedroht, während Frauen für gleiche Arbeit weniger Lohn erhielten als Männer. Die wöchentliche Entlohnung brachte zusätzliche Unsicherheit, da man erst freitags erfuhr, wie viel man verdient hatte. Arbeitsunfälle und Krankheiten stellten existenzielle Risiken dar.
Frauen trugen eine Mehrfachbelastung durch Haushalt, Kindererziehung und Arbeit, während Väter oft abwesend waren. Kinder mussten früh arbeiten und hatten kaum Zeit für eine unbeschwerte Kindheit. Trotz dieser Härten entwickelte sich eine eigene Arbeiterkultur mit Vereinen und Bewegungen, die ein stabiles soziales Milieu schuf.
Die Verfassung des Deutschen Reiches von 1870/71 wies erhebliche Diskrepanzen zwischen Text und Realität auf. Obwohl Kaiser Wilhelm II. offiziell nur einer unter vielen Fürsten war, drängte er sich in den Vordergrund. Reichskanzler Bismarck schuf durch das "Stellvertretergesetz" eine faktische Regierung, die so in der Verfassung nicht vorgesehen war.
Wichtig zu wissen: Obwohl Deutschland mit seinem allgemeinen Männerwahlrecht eines der demokratischsten Wahlsysteme Europas hatte, blieb die tatsächliche Macht beim Kaiser und seinem Kanzler!
Bemerkenswerterweise entwickelten sich Parteien zu wichtigen politischen Akteuren, obwohl sie in der Verfassung gar nicht vorgesehen waren. Der Reichstag hatte offiziell nur Budgetrecht, konnte aber trotzdem politischen Druck ausüben. Durch die Industrialisierung entstand eine starke Arbeiterklasse, aus der sich die Sozialdemokratie entwickelte – entgegen Bismarcks ursprünglicher Erwartung, dass die Bauern konservativ wählen würden.